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Olga

Autor
Schlink, Bernhard

Olga

Untertitel
Roman
Beschreibung

Olga ist eine besondere, eher leise Liebesgeschichte und Porträt einer willensstarken Frau, die an ihre Bestimmung glaubt und Hindernisse zu überwinden weiß. Gleichzeitig gelingt es Schlink einmal mehr, uns einige glaubwürdige Personen, die ihren Weg durch die deutsche Geschichte nehmen, so nahe zu bringen, dass in unseren Köpfen aus Schwarzweißfotos, farbige, bewegte Bilder werden.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Diogenes Verlag, 2018
Seiten
320
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-257-07015-6
Preis
24,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Bernhard Schlink, geboren 1944 bei Bielefeld, ist Jurist und lebt in Berlin und New York. Der 1995 erschienene Roman ›Der Vorleser‹, 2009 von Stephen Daldry unter dem Titel ›The Reader‹ verfilmt, in über 50 Sprachen übersetzt und mit nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet, begründete seinen schriftstellerischen Weltruhm.

Zum Buch:

Viel Freude hat mir mein Wochenende gemacht, das ich mit Olga verbringen durfte. Olga ist eine wissensdurstige, starke Frau und Heldin in Bernhard Schlinks gleichnamigen, aktuellen Roman.

Eine gemeinsame Kindheit in Pommern führen die Geschwister Viktoria und Herbert, Kinder eines Gutsherrn, mit Olga zusammen. Im Gegensatz zu Viktoria, die sich irgendwann aus aufkeimendem Standesdünkel heraus von der aus ärmeren Verhältnissen stammenden Freundin abwendet, verwandelt sich Herberts freundschaftlicher Blick auf Olga langsam und nachhaltig in den eines Liebenden. Die beiden werden ein Paar, das der Ablehnung durch Herberts Familie und den gesellschaftlichen Normen trotzt. Eigentlich erkennt man schon in den Rückblenden in ihre Kindheit, dass beide Getriebene sind. Herbert versuchte als Kleinkind, nicht laufen, sondern gleich rennen zu lernen. Und Olgas Wissensdurst kannte weder Müdigkeit noch Vorschriften, die ihr als Frau eine breitere Bildung eigentlich verwehren. Im – an manchen Stellen fast filmisch anmutenden – Zeitraffer begleiten wir das unverheiratete Paar und ihre vielen unfreiwilligen Trennungen. Olga wird trotz aller gesellschaftlichen Hindernisse passionierte Lehrerin in einem kleinen Dorf, Herbert zieht reise- und abenteuerlustig in den Kampf gegen die Hereros in Deutsch-Südwestafrika und auf viele weitere Reisen. Zu einer Heirat der beiden wird es wegen der angedrohten Enterbung Herberts nie kommen. Der unerschütterlichen Liebe der beiden zueinander tut das jedoch keinen Abbruch. Erst Herberts unendliche Faszination für die legendäre Nordostpassage und die Umsetzung seines Lebenstraums, einer Nordpolexpedition, wird die beiden letztlich doch für immer trennen.

Während wir in der ersten Hälfte des Buchs Olgas Lebensweg zwischen dem späten 19. Jahrhundert bis in die Siebzigerjahre des 20. hinein verfolgen, erleben wir durch einen überraschenden Perspektivenwechsel die ungewöhnliche Freundschaft zwischen dem jungen Ferdinand und der seit dem Krieg nicht nur alt, sondern mittlerweile auch taub gewordenen Olga. Sie arbeitet wegen ihrer Behinderung nicht mehr als Lehrerin, sondern als Näherin in Ferdinands Elternhaus und kümmert sich geduldig um ihn, wenn er krank ist. Der erste Teil des Romans erweist sich daher als lediglich die Rückschau Ferdinands auf Olgas Leben, so wie diese es ihm während vieler gemeinsam verbrachter Stunden erzählt hat. Auch nach Ferdinands Auszug von Zuhause hat die Freundschaft des ungleichen Paares Bestand, bis in seine Studentenzeit hinein. Olga ist bis ins hohe Alter politisch interessiert, engagiert und immer bereit, ihren Blick auf das Leben und ihre Erfahrungen mit dem jungen Mann zu teilen.

Durch einen erneuten Perspektivenwechsel gegen Ende des Romans dürfen wir in ihren Briefen an Herbert eine weitere Seite Olgas kennenlernen. Neben einigen Überraschungen erhalten wir aber vor allem einen berührenden Einblick in die besondere Innigkeit dieser Liebesbeziehung. Olga schrieb Herbert ihre Briefe über mehrere Jahre „post restante“ nach Tromsö und hoffte bis zuletzt, er möge sie nach seiner Rückkehr aus der Arktis zu lesen bekommen. Dass Olga, die ja von je her an Herberts Abwesenheit gewöhnt war, in Form dieser Briefe vermutlich weit über seinen Tod hinaus mit ihm sprach und in ihrer inneren Welt mit ihm lebte, erscheint ebenso traurig wie hoffnungsvoll.

Vielleicht gehört Olga nicht in die Kategorie „spektakulärer Bestseller“, aber das Buch ist eine besondere, eher leise Liebesgeschichte und Porträt einer willensstarken Frau, die an ihre Bestimmung glaubt und Hindernisse zu überwinden weiß. Gleichzeitig gelingt es Schlink einmal mehr, uns einige glaubwürdige Personen, die ihren Weg durch die deutsche Geschichte nehmen, so nahe zu bringen, dass in unseren Köpfen aus Schwarzweißfotos, farbige, bewegte Bilder werden.

Larissa Siebicke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt