Zum Buch:
Sie machten Polaroids von ihm, die der Vater später der Sozialarbeiterin zeigen würde. Er setzte eine Leidensmiene auf. Sein Haar war zerzaust, der Hemdkragen angerissen. Er biss sich auf die Lippen, bis Blut kam, doch der Vater war mit dem Resultat immer noch nicht zufrieden. Sein Bruder schlug daher vor, ihm eine reinzuhauen, das würde vielleicht funktionieren.
Der Frau vom Jugendamt, der die Bilder verdächtig erschienen und die daher nachfragte, ob seine Mutter ihm sonst noch etwas angetan hätte, antwortete er: „Meine Mom hat mir in die Shorts gefasst, mich da unten massiert.“
Eine Lüge, dem Vater zuliebe, der versprochen hatte, ihn und seinen Bruder zu sich nach Albuquerque zu holen, um die Vergangenheit hinter ihnen zu lassen und noch einmal ganz von vorne anzufangen. Der Vater, ein drogensüchtiger Maulheld, der der Mutter des Öfteren mit dem Gürtel Schläge versetzt hatte, gewinnt den Sorgerechtsstreit. Er will seine beiden Söhne zu Männern erziehen, zu besseren Menschen, zu Gewinnern. Doch seine an den Haaren herbeigezogenen Versprechungen gehen nicht auf. Sein Drogenkonsum nimmt rapide zu, er schlägt die Söhne, noch nach Monaten stehen überall Umzugskartons herum, und überhaupt erweist sich New Mexico als karge, fahle Ebene, über der sich, immer in der Ferne, lautlose Gewitter entladen. Bald darauf kommt es zum Eklat, und den Brüdern bleibt nichts anderes übrig, als sich beizustehen und sich gegenseitig zu beschützen.
Ohne Frage ist Daniel Magariels Roman Einer von uns ein beeindruckendes Debüt. Ich kann mich an kein Buch in der letzten Zeit erinnern, das sich dermaßen schnell liest und dessen Schlussszene ich als ebenso effektvoll und überwältigend wie unvergesslich empfand. Ein ganz großer Wurf, der mit geringsten Mitteln auskommt.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln