Zum Buch:
Als Junge steht Jude Fawley sehnsuchtsvoll auf einem Hügel mit Blick auf Christminster, die nahegelegene und für ihn doch unerreichbare Universitätsstadt. Schon früh wird der Idealismus, der den jungen Jude dazu verleitet seine Initialen auf den Meilenstein zu gravieren, ironisch gebrochen. Zunächst geschieht dies noch mit dem für Hardys Figuren typischen ernsten Witz, der jedoch mit jedem Schicksalsschlag, der die Figuren trifft, bitterer wird. So schafft es Jude tatsächlich, nach einer gescheiterten und lieblosen Ehe nach Christminster zu kommen, doch nicht wie erhofft als Gelehrter und Student, sondern als Steinmetz. Ein Werdegang, den seine Inschrift auf dem Stein bereits vorweggenommen hat.
In gleichem Maße wie sich Judes Pläne als unerreichbar herausstellen, werden ihm nicht nur die Institutionen der Gelehrsamkeit, sondern auch ihre Lehren fragwürdig. Christminster verliert für Jude zwar nie ganz seinen Reiz, jedoch erfüllen ihn die christlichen Lehren und die Regeln, die sein und Sues Leben schließlich zu Grunde richten werden, immer mehr mit Abscheu. Denn Jude Fawley ist neben allem anderen und vielleicht sogar in erster Linie ein Liebesroman. Sue und Jude verkörpern die Widersprüchlichkeit von Lebendigkeit und trockener Gelehrsamkeit, von Dogmen und Zuneigung, aber auch von Mythos und Vernunft.
Das Spannende an Hardys Romanen ist sein Umgang mit den Figuren. Ihre Schicksale, die ihnen allzu oft ein Scheitern an den Missständen der Gesellschaft prophezeien, laden zu einer ideellen Überhöhung der Protagonisten geradezu ein. Aber genau diesem Drang wiedersteht Hardys Erzählen. Wenn in seinen Romanen die Vorstellungen, Wünsche und Hoffnungen der Protagonisten an der Realität vorbeigehen, so schüttelt man nicht selten nicht über die Gesellschaft, sondern über die Figuren selbst den Kopf. Thomas Hardys Werke werden oft als melancholisch beschrieben, aber gerade an der Ehrlichkeit, mit denen seine Figuren greifbar und echt werden, lässt sich eine positive Wendung ablesen. Denn auch wenn die Liebe zwischen Sue und Jude grausam scheitert, so bleibt sie, wenn alle anderen Idealismen schmerzhaft zerbrochen sind, in ihrer Ambivalenz doch bestehen.
Es ist gerade diese kluge und genaue Charakterzeichnung, die Hardys Roman als Klassiker zeitlos interessant macht. Die gelungene Neuübersetzung von Alexander Pechmann, die sich nicht zuletzt durch eine gekonnte Übertragungen der für die Stimmung des Romans so wichtigen Dialekte ins Deutsche auszeichnet, bietet die Chance, ihn wiederzuentdecken.
Theresa Mayer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt