Zum Buch:
Was hat der Mord an einem linken Investigativjournalisten während eines konspirativen Treffens der neuen Rechten mit einem ehemaligen Studienzirkel an einem Cambridger College zu tun? Und gibt es eine Verbindung zu dem Selbstmord eines vergessenen und jetzt von den Konservativen wiederentdeckten mittelmäßigen Schriftstellers? Coe führt seine Protagonisten und Leser geschickt durch Handlung und Zeit und wechselt dabei gekonnt das Genre. Sehr unterhaltsam und kurzweilig zeichnet er das Bild einer Nation die sich selbst aufzulösen scheint.
Die Rahmenhandlung spielt zur Zeit der kurzen, 49 Tage währenden Präsidentschaft von Liz Truss, deren Pläne zur Steuerersenkung für die Wohlhabenden bei gleichzeitiger Kürzungen der Sozialleistungen vielleicht noch in Erinnerung sind.
Nicht nur die verheerenden wirtschaftlichen Folgen des Brexits, auch der Aufstieg der Ultrarechten, der drohende Kollaps des nationalen Gesundheitssystems, die unschönen Enthüllungen über die vermeintlich anständigen Briten zur Zeit des Kolonialismus und nicht zu vergessen : der Tod von Königin Elisabeth II, dem letzten vereinenden Symbol britischer Größe zerren an der Einheit und Stabilität der einst so bedeutenden Nation.
Phyl, die gerde ihr Literaturwissenschaftsstudium beendet hat, das ihr außer immenser Kreditschulden nichts gebracht hat, lebt wieder bei den Eltern und verdingt sich als Servicekraft in einer Sushi-Kette am Flughafen. Die einzige Abwechselung ist das Schauen von Friends, der 90er Jahre Sitcom, die ihr Trost und Sicherheit spendet, weil damals die Welt noch gut und die Zukunft noch rosig erschien. Als Chris, ein Studienfreund ihrer Mutter und umstrittener Investigativjournalist, zu Besuch kommt, weil er über ein konspiratives Treffen von Ultrarechten und Torys auf einem nahegelegenen Landsitz über deren angebliche Pläne zur Umsturz der britischen Staates berichten will, kommt etwas Abwechselung in ihr ödes Leben. Und als Chris kurz darauf auf eben dieser Veranstaltung ermordet aufgefunden wird, findet sich Phyl inmitten einer Mordermittlung wieder.
Waren Chris‘ Enthüllungen wirklich so brisant, dass sie ihn das Leben kosteten? Oder liegt der Grund für seine Ermordung vielleicht weit in der Vergangenheit, als Chris und ihre Mutter Teil eines elitären Studienzirkels in Cambridge waren? Und welche Bedeutung hat der ominöse Text, den Chris kurz vor seinem Tod an Phyls Mutter geschickt hat?
Die Mordermittlung wird von Pru Freeborn geleitet, einer matronenhaften und trinkfesten Ermittlerin, die eigentlich schon in Rente ist. Mit stoischer Ruhe und scharfem Verstand versucht sie den Fall zu lösen, und schnell wird klar: Nichts ist so, wie es scheint, die Wahrheit hat viele Seiten, es kommt nur auf die Lesart an.
Jonathan Coe, dessen Bücher sich wie der satirische Bericht zur Lage der Nation lesen lassen, hat mal wieder einen sehr intelligenten, humorvollen und mit großer Leichtigkeit geschrieben Roman vorgelegt: Der Beweis meiner Unschuld ist eine Gesellschaftssatire, verpackt in einen gut komponierten und vielschichtigen Kriminalroman. Coe ist ein Meister des Wortspiels und – nur als kleiner Spoiler – schon der englische Originaltitel birgt eine schöne Doppeldeutigkeit.
Andrea Schulz, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt