Zum Buch:
Der Roman erzählt die Erfahrung eines Opfers der NS-Euthanasie mit zwei Stimmen und der Stimme der Autorin. Die Stimmen, die als Ich-Erzähler zu Wort kommen, gehören dem Archäologie-Professor Max Koenig und dem Chefarzt der Tötungsanstalt Dr. Lerbe. Weitere Perspektiven auf das Geschehen erzählt die Autorin mit ihrer eigenen Stimme.
Die Stärke des Romans ist die innere Stimme des Max Koenig, eines Intellektuellen, der seine vom Vater ererbte Krankheit beobachtet, seine Entmündigung durch Ärzte und das Pflegepersonal, seine Dankbarkeit für die Hilfe Einzelner. Nicht nur die Institutionen Klinik und SS, auch die Familie und vor allem die Beziehung zu seiner geliebten Frau und seiner Tochter sind Gegenstand der fiktiven Aufzeichnungen. Als Leser kommt man so dem Prozess des Krankenmordes emotional sehr nah. Oft ist kaum zwischen dem Krankheitsverlauf, dem Verlust der Autonomie und Kontrolle durch den physischen Verfall und dem herzlosen Eingriff der Spezialisten für das Töten zu unterscheiden.
Im Unterschied dazu bleibt die Stimme des „Euthanasie“-Arztes und SS-Mannes blass. Wer die Literatur zum Thema NS-Volksgemeinschaft und Profile von SS-Offizieren ein wenig kennt, wird die Figur dieses jungen Karrieristen schnell einordnen und keine Überraschungen in seinem Verhalten finden. Selbst als er in Max Koenig einen Bekannten erkennt, bleibt seine Reaktion blass. Er bekommt die Aufzeichnungen des Todgeweihten von diesem selbst in die Hand, lässt sie aber weder liegen noch legt die Erzählung offen, was er darin findet.
Beim Lesen entwickelt sich quasi eine persönliche Beziehung zu Max König. Das ist nicht Mitleid, sondern eine erfahrene Nähe. Aber dem Arzt, der als Mörder agiert, gibt dieser Roman keine lebendige Stimme. Vielleicht möchte ich die als Leser auch nicht wirklich hören. Der Klappentext kündigt an, der Roman gebe Opfern und Tätern eine Stimme. Das leistet dieses Buch nicht, aber die eine Stimme, die es trägt, ist wirklich stark.
Gottfried Kößler, Frankfurt am Main