Zum Buch:
Alex trägt Schwarz. Nicht, weil ihre Mutter gestorben ist, als sie noch keine acht war. Nicht, weil sie danach von ihrem Vater zum Geburtstag einen ziemlich bunten Papagei geschenkt bekommen hat. Nicht, weil sie es gerade mit ihren beiden besten Freunden verbockt hat. Sie trägt schwarz, einfach so, zusammen mit bunten Socken. Lena Goreliks neuer Roman ist eine Freundschaftsgeschichte, die pulsiert.
Für Alex hatte immer einfach alles gestimmt, wenn sie mit Paul und Ratte zusammen war. Die drei haben Spiele gespielt, die mehr mit dem Leben zu tun hatten, als in der Schule zu sitzen. “Stell dir mal vor” ist so ein Spiel, oder “Du wirst dich doch trauen”. Und alles ging so einfach, nämlich so: “Kommt ihr? Wodka, Garten und wir. Den letzten warmen Abend des Jahres genießen, spielen und Sterne, wir pfeifen auf die Jahreszeiten und auf den Rest. “ Ratte, die eigentlich Nina heißt, konnte von ihrem Vater erzählen, der entweder furchtbar betrunken ist oder furchtbar nett, Paul von seinem behinderten Bruder, der in der Familie im Mittelpunkt steht, und Alex konnte darüber schweigen, dass sie so gerne einmal einen richtig heftigen Streit mit ihrer Mutter hätte.
Das war ein Abend, kurz nachdem der neue Referendar für Deutsch und Geschichte, Herr Spitzing, in die Klasse von Alex, Ratte und Paul spazierte. Danach dauert es nicht lange, bis sich alles verändert. Herr Spitzing ist eigentlich ein bisschen einer von ihnen, weil er anders ist als alle Lehrer. Setzt sich in der ersten Stunde nicht ans Pult, sondern neben Paul, einfach so. Lässt sie jeden Morgen fünf Minuten schreiben zu einem Wort wie “Sein”, “Träne”, “Geschichte”, “Nein”. Lässt sich Dinge fragen, die sonst bei Lehrern tabu sind. Lässt sich außerhalb der Schule von den dreien Johnny nennen.
Mit Herrn Spitzing fährt die Klasse nach Auschwitz. Mit Johnny spielen die drei am Abend vor der Katastrophe ihre Spiele. Aber Alex spielt mit falschen Karten, denn Paul ist der Einsatz, mit dem sie Johnny zeigen will, dass sie in ihn verliebt ist. Und dann küsst Alex Paul vor dem Lagergalgen. Jemand fotografiert den Kuss und stellt ihn ins Netz. Seitdem ist Paul verschwunden.
Ich könnte den ganzen Roman erzählen, und würde ihm nichts nehmen, denn Gorelik muss man lesen – ihre nüchterne Sprache, die so viele Ober- und Untertöne hat – und dabei die Sehnsucht nach Leben spüren, die in jedem Wort steckt. Immer und noch mal und am besten gleich wieder.
Susanne Rikl, München