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Sie waren viel zu weit draußen bei diesem Wetter; hätten längst abbrechen sollen. Doch herrschte der ebenso sturköpfige wie vom Jähzorn zerfressene Vater seine beiden erwachsenen Söhne Javier und Mario an, keine Memmen zu sein und den gottverdammten Job zu erledigen. Die Zwillingsbrüder hätten in ihrer Art nicht ungleicher sein können. Was sie jedoch wie ein unsichtbares Band miteinander verknüpfte, war der unbändige Hass, den sie für ihren Vater empfanden, ein Hass, der sich irgendwann nicht mehr länger im Zaun halten lassen würde. Irgendwann. Vielleicht heute.
Sie waren trotz der Schlechtwettermeldungen kurz nach Tagesanbruch aufgebrochen, und jetzt zappelten einige Hundert Pfund mit Köderleinen gefangene Fische knöcheltief im Bootsrumpf oder lagerten bereits in der mit Eis gefüllten Truhe. Es reichte. Sie hätten es gut sein lassen sollen. Dann fiel der Motor aus. Das aufgewühlte Meer und der drohende Himmel ein einheitliches Schwarz. Kein Mond. Keine Sterne. In der Düsternis zuckten Blitze am Horizont wie grelle Astgabeln. Als eine Woge das offene Fischerboot über den nächsten Wellenkamm hob und jäh in die Tiefe hinabstürzen ließ, tat der Vater einen falschen Schritt, taumelte und fiel schließlich über Bord. Regen ging hart auf die See nieder. Die Brüder sahen sich schweigend an, erkannten ihre Möglichkeit. Jeder nächste Schritt würde unweigerlich über ihr zukünftiges Leben bestimmen.
Ich habe alle ins Deutsche übersetzten Romane von Tomás González gelesen. Ich bin ein Fan, keine Frage. Tomás González besitzt die seltene Gabe, groß angelegte Tragödien auf kleinstem Raum auszubreiten, indem er sich nicht lange mit Ausschmückungen aufhält, sondern sein Augenmerk auf die inneren, tief verwurzelten Konflikte seiner Protagonisten konzentriert. In all seinen Romanen hat er sich an das einfache Gebot gehalten: Weniger ist mehr. Das ist ihm auch mit seinem jüngsten Roman vollends gelungen.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln