Zum Buch:
Als wären die Jahre der Pubertät nicht schon aufwühlend genug, hat die Protagonistin Aza in John Greens neuem Jugendroman auch noch mit Angst- und Zwangsstörungen zu kämpfen. Einen ehrlichen Einblick erhalten wir Leser in die Psyche einer Jugendlichen, die als gute Schülerin und Tochter einer alleinerziehenden und ziemlich besorgten Mutter ein, von außen betrachtet, fast „normales“ Leben führt. Aber was ist eigentlich normal? Sind Stimmungsschwankungen und Intensität der Gefühle in der Pubertät normal und muss man sie deswegen nur „durchstehen“? Was ist aber, wenn – wie in Azas Fall – die Intensität von Gedanken und Gefühlen zu Zwangshandlungen führt und das Kopfkino einen anderen Film zu zeigen scheint als bei den meisten anderen Jugendlichen?
Aza und Daisy sind beste Freundinnen, gehen zusammen zur Schule und erleben die Bedingungen ihrer jeweils eigenen Welt als Herausforderung. Die quirlige Daisy schreibt Star-Wars-Fan-Fiction, arbeitet neben der Schule viel, um nach ihrem Abschluss studieren zu können, und folgt spontanen Ideen, ohne zu zögern. Aza ist mit ihren inneren Welten beschäftigt und dementsprechend introvertiert, hat ihren Vater früh verloren und wird – aus Daisys Sicht – von ihrer Mutter mit allem verwöhnt, was man sich als Jugendliche nur wünschen kann. Doch weder das eigene Auto namens Harold noch Klamotten oder Laptop können Aza von ihren eigentlichen Sorgen ablenken. Sie denkt zwanghaft an all die Bakterien und Bazillen, die ihren Körper besiedeln, an die Möglichkeiten, an ihnen zu erkranken oder gar zu sterben.
Nachdem ein spleeniger ortsansässiger Millionär als vermisst gemeldet wird, überredet Daisy ihre beste Freundin, die alte Bekanntschaft zu Dave, dem Sohn des vermissten Millionärs, zu nutzen, um auf diesem Weg das geheimnisvolle Verschwinden zu klären und an die ausgesetzte Belohnung zu kommen. Aza lässt sich überreden; sie und Dave knüpfen an ihre Kinderfreundschaft an und verlieben sich sogar ineinander. Zwei einsame Jugendliche treffen aufeinander, genießen diese neue, von Ängsten begleitete Nähe, wollen so unendlich gern ihre gefühlte Isolation durchbrechen und wissen doch oft einfach nicht weiter. Dave befürchtet, nur des Geldes wegen für andere interessant zu sein. Aza scheitert am Strudel ihrer Gedanken angesichts der bedrohlichen, beim Küssen ausgetauschten Menge fremder Bakterien.
Mitfühlend, aber schonungslos beschreibt John Green die Zerrissenheit zwischen dem Wunsch nach „Normalität“ und der Unfähigkeit, echte Nähe zuzulassen. Nur über die Bildschirme der Handys kommen sich Aza und Dave nahe, vermutlich näher, als das im echten Leben möglich wäre. Dass dieses mittelbare Erleben über Facebook, Whatsapp und Facetime längst Bestandteil heutiger Gefühlswelten ist, und das nicht nur bei Jugendlichen, macht Green mit glaubwürdiger Empathie deutlich. Wie sehr dem Autor vielleicht auch persönlich die Gedankenspiralen vertraut sind, in die Aza immer wieder hineingeworfen wird, lässt sich im Nachwort erahnen.
So wie Thomas Melle in seinem Buch Die Welt im Rücken lädt John Green in seinem aktuellen Roman dazu ein, sich mit den immer noch gerne tabuisierten psychischen Erkrankungen vertraut zu machen, die oft genug nur schwer von Ticks oder schlichten Eigenheiten zu unterscheiden sind. Greens humorvoller und einfühlsamer Blick in Azas innere Welten machen das Buch zu einem spannenden Lesevergnügen für Jugendliche ab 14 und interessierte Erwachsene.
Larissa Siebicke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt