Zum Buch:
Die Folter zur Erlangung von Geständnissen, seien diese nun wahr oder allein deshalb abgelegt, um den grausamen Qualen ein Ende zu bereiten, hat in den Vereinigten Staaten eine lange Tradition. Wenn wir heute hören, oder anders gesagt, wenn wir heute zumindest das hören, was man in Washington für zumutbar hält, das wir hören, wie nach den Anschlägen von 9/11 im Zuge des Krieges gegen Terror permanent und in seiner Brutalität kaum zu beschreiben gefoltert wurde, um Antworten zu bekommen, die, wie sich größtenteils herausstellte, völlig aus der Luft gegriffen waren und ganz sicher nicht dazu führten, das hohe Ziel zu erreichen, auch nur einen einzigen US-Amerikaner vor weiteren Terrorakten zu schützen, dann müssen wir uns fragen, woran es liegt und wie es dazu gekommen ist, dass die USA auf dem Gebiet der Folter unbestreitbar und im höchsten Maße unfähig sind, diese Abscheulichkeit ein für alle Mal und gerade im Angesicht des 21. Jahrhunderts abzuschaffen. Und sei es auch nur als ein Zeichen.
Um das zu verstehen, ist die Lektüre des Buchs von Dr. Phil. Silvan Niedermeier unumgänglich, der sich ausführlich mit der Geschichte des US-amerikanischen Südens sowie mit der Geschichte der Gewalt auseinandergesetzt und hierzu geforscht hat. Anhand bisher verschlossenen Archivmaterials, Zeugenaussagen und Ermittlungsakten aus den Jahren 1930 bis 1955 rekonstruiert er die fortgesetzte Folter von afroamerikanischen Tatverdächtigen und Häftlingen in Polizeigewahrsam, die allein eingesetzt wurde, um völlig haltlose Geständnisse zu erpressen oder/und einfach rasch einen Schuldigen zur Hand zu haben, um der mehrheitlich weißen Bevölkerung einen funktionierenden Polizeiapparat vorzugaukeln. Er schildert auch den Versuch der Gefolterten, sich im Gerichtssaal Gehör zu verschaffen und eben diese unter Folter angegebenen Aussagen zu widerrufen und mehr noch ihre Peiniger anzuklagen – letzteres ein Unterfangen, das in den meisten Fällen zu nichts führte, weil oft nicht mal der anwesende Richter den zu unrecht Beschuldigten Glauben schenkte, sondern Polizisten und Hilfssheriffs in Schutz nahm und die Aussagen der Häftlinge, die sich oft nicht richtig ausdrücken konnten, ins Lächerliche zog. In neun von zehn Fällen endeten die durch Folter erzwungenen Aussagen mit der Verurteilung zum Tod durch den Strang.
Niedermeier zeigt aber auch, dass es Gegenwehr gab. So zum Beispiel die Arbeit der NAACP, einer afroamerikanischen Bürgerrechtsorganisation, die sich für die Belange zu unrecht Verurteilter einsetzte und diese unentgeltlich vor Gericht vertrat. Eine Arbeit, wie man sich denken kann, die wenig Zuspruch von der weißen Bevölkerung erhielt. Und in jenen Jahren war es nicht eben Usus, überhaupt einem Afroamerikaner die Anwaltslizenz auszustellen .
Niedermeiers Studie macht leider nur allzu deutlich, dass die Tradition der Folter in den USA einen langen Schatten auf die heutige Zeit wirft und die Bedingungen und Umstände, die hierzu führten, noch lange nicht abgeschafft sind.
Axel Vits, Der andere Buchladen Köln