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Autor
Neitzel, Sönke ;Welzer, Harald

Soldaten

Untertitel
Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben
Beschreibung

Die Autoren Sönke Neitzel und Harald Welzer haben in jahrelanger Kleinstarbeit 150.000 Seiten Abhörprotokolle deutscher Soldaten in Kriegsgefangenschaft durchgesehen und ausgewertet. Entstanden ist daraus ein Buch, das in seiner Einzigartigkeit einen völlig neuen Blick auf die »willigen Vollstrecker« wirft.

Verlag
Fischer Verlag, 2011
Format
Gebunden
Seiten
528 Seiten
ISBN/EAN
978-3-10-089434-2
Preis
22,95 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Sönke Neitzel, geboren 1968, lehrt an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Neuere und Neueste Geschichte. Seine Forschungen befassen sich vor allem mit der Geschichte des Hochimperialismus und dem Zeitalter der Weltkriege.

Harald Welzer, geboren 1958, ist Direktor des Center for Interdisciplinary Memory Research am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen und lehrt Sozialpsychologie an der Universität Witten sowie an der Emory University Atlanta.

Zum Buch:

Wenn ehemalige Wehrmachtsoldaten nach Ende des Zweiten Weltkriegs über ihre Erlebnisse berichteten, so gewöhnlich in voller Absicht und – ganz gleich, ob sie sich bei einem Strafgericht verteidigen mussten, später ihre Memoiren veröffentlichten oder ganz einfach nur ihren Angehörigen die eigene Sichtweise mitteilten: Es geschah immer mit dem Wissen darum, wie der Krieg endete und was hinterher alles herauskam. Wie aber muss das damals gewesen sein, wenn sich zwei gewöhnliche Soldaten unterhielten, zwanglos, mitten in den Wirren des Krieges und ohne auch nur zu ahnen, dass jemand Drittes mithören würde?

Hier ein Beispiel. Dieses Gespräch wurde am 30. April 1940 aufgezeichnet:

Leutnant Pohl, Aufklärer der Luftwaffe: »Am zweiten Tag des Polenkrieges musste ich auf einen Bahnhof von Posen Bomben abwerfen. Acht von den 16 Bomben fielen in die Stadt, mitten in die Häuser hinein. Da hatte ich keine Freude daran. Am dritten Tag war es mir gleichgültig und am vierten Tag hatte ich meine Lust daran. Es war unser Vorfrühstücksvergnügen, einzelne Soldaten mit Maschinengewehren durch die Felder zu jagen und sie dort mit ein paar Kugeln im Kreuz liegen zu lassen.«

Leutnant Meyer, Pilot der Luftwaffe: »Aber immer gegen Soldaten …?«

Pohl: »Auch Leute. Wir haben in den Straßen die Kolonnen angegriffen. Ich saß in der Kette. Die Führermaschine warf auf die Straße, die beiden Kettenhunde auf die Gräben, weil da immer solche Gräben gezogen sind. Die Maschine wackelt, hintereinander, und jetzt ging es in der Linkskurve los, mit allen MGs und was du da machen konntest. Da haben wir Pferde herumfliegen sehen.«

Meyer: »Pfui Teufel, das mit den Pferden … nee!«

Pohl: »Die Pferde taten mir leid, die Menschen gar nicht. Aber die Pferde taten mir leid bis zum letzten Tag.«

Vor etwa zehn Jahren, in seiner Zeit als Gastdozent an der University of Glasgow, stieß der deutsche Geschichtswissenschaftler Sönke Neitzel im Londoner Nationalarchiv auf eine Unzahl bisher völlig unbeachteter Abschriften von Abhörprotokollen von Gesprächen deutscher Soldaten, die die Briten während des Zweiten Weltkriegs in ihren Kriegsgefangenenlagern systematisch anfertigen ließen. Eine unglaubliche Entdeckung. Allein der Ordner für den Monat September 1943 umfasste 800 Seiten. Neitzel grub weiter, arbeitete sich durch ganze Aktenberge. Mitsamt dem weiteren Material, das er im Washingtoner Nationalarchiv, wuchs die Menge der Protokolle schließlich auf 150.000 Seiten an. Er wusste, dass er auf etwas bisher nie Dagewesenes gestoßen war, ihm war aber gleichzeitig auch bewusst, dass er die Auswertung der Akten auf keinen Fall allein bewältigen konnte. Also holte er den renommierten Sozialpsychologen Prof. Dr. Harald Welzer mit ins Boot.

In jahrelanger, mühseliger Kleinarbeit ist somit ein Buch zum Thema Zweiter Weltkrieg entstanden, dass in seiner Einzigartigkeit vieles, was in den letzten Jahren erschienen ist, in den Schatten stellt. Hier werden zum ersten Mal die Denkweise deutscher Soldaten, ihr Weltbild, ihre Ängste und Hoffnungen quasi in Echtzeit dargestellt – und eben nicht nacherzählt. Das ist es, was den Schrecken ausmacht, da wird über die Erfahrung des Tötens gefachsimpelt, da wird offene Kritik an der Führungsebene laut, man unterhält sich über Einsätze, Vergewaltigungen, die Judenfrage, über Russen und die Angst um die Daheimgebliebenen. All das ungeschönt und direkt. Es ist kein Leichtes, sich das anzutun, aber dem Interessierten stellt sich hier ein anderes, wenn nicht neues Bild der „Willigen Vollstrecker“ dar; man kommt nicht umhin zu behaupten, „Soldaten“ sei ein ausgenommen wichtiges Buch.

Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln