Zum Buch:
“Trau niemandem”, rät Hattie Childs ihrem 14-jährigen Sohn Robey. “Besorg dir so bald wie möglich ein Schießeisen, am besten mehrere”, lautet ihr nächster Ratschlag, und des weiteren schärft sie ihm ein: “und gib acht, dass sie immer geladen sind. Wenn du auf jemanden schießen musst, ziel auf den Rumpf, und wenn deine Pistole leer ist, wirf sie weg und nimm die von dem, den du erschossen hast. Wenn du denkst, dass jemand auf dich schießen will, überleg nicht lang: du musst als erster schießen.” Ein unglaublich starker Anfang für ein Buch, das bis zur letzten Seite so bleibt, wie es begonnen hat: fesselnd, bewegend und ungeheuer eindrücklich.
In Amerika tobt der mörderische Sezessionskrieg, als Robey von der Mutter schweren Herzens und voller Furcht, den Sohn zu verlieren, losgeschickt wird, um seinen Vater aus dem Bürgerkrieg nach Hause zu holen. Robey reitet los, weg von der elterlichen Farm, einem abgeschiedenen Flecken Erde, unberührt von den Wirrnissen und Gefahren der Welt, bis dahin sein kleiner, sein ganzer Kosmos. Allein der Weg bis zum nächsten Marktflecken wäre Robey schon Abenteuer genug, hätte er nicht eine größere Aufgabe zu erledigen. Da sein Pferd, mit dem er von zuhause losreitet, nach kurzer Zeit lahmt und er befürchtet, schon am Ende seiner Mission zu sein, kaum dass sie begonnen hat, tut er sehr bald, was er seiner Mutter versprechen musste, niemals zu tun: er nimmt Hilfe an. Von dem seiner Familie bekannten Krämer bekommt er einen wundervollen schwarzen Hengst und zwei Armeecolts zur Verfügung gestellt, deren Herkunft im Dunkeln bleibt. So kann er seine Suche nach dem Vater fortsetzen.
In ruhigen und intensiven Bildern schildert Robert Olmstead das rasante frühzeitige und alternativlose Erwachsenwerden seines junge Helden, der in nur wenigen Monaten jeglicher Illusionen beraubt und vom Kind zum Mann wird. Eine der ersten Assoziationen, die ich beim Lesen dieses Textes hatte, der von Seite zu Seite immer stärkere Sogwirkung entfaltet: das ist Simplicissimus in Amerika. Naiv, unschuldig und ohne Argwohn beginnt Robey seine Reise, um auf den Schlachtfeldern von Gettysburg, wo die beiden Bürgekriegsarmeen zusammen über 50.000 Tote zu beklagen hatten, vieles kennenzulernen, was er sich auf der elterlichen Farm nicht einmal im Traum hätte vorstellen können. Es ist die Bestialität und Gnadenlosigkeit des Menschen, seine Falschheit, Gier und Gewalttätigkeit, aber auch sein Über-lebenswille und seine Zähigkeit. Robey findet seinen sterbenden Vater, kann ihm nicht mehr helfen, sieht ungeheuer viel Elend und Leid, macht erste Erfahrungen mit der körperlichen Liebe, tötet, und er kehrt schließlich vollkommen desillusioniert, aber auch sichtlich gereift zu seiner Mutter zurück.
Der Glanzrappe ist mal wieder ein ganz außerordentlicher Band in der Anderen Bibliothek des Eichborn-Verlages, der obendrein auch noch eine gestalterische Meisterleistung ist: Sein schwarzer, dem Pferdefell nachempfundener Buchdeckel macht das Buch auch zu einem haptischen Erlebnis.
Ralph Wagner, Ypsilon Buchladen & Café, Frankfurt/Main