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Autor
Oesterle, Kurt

Martha und ihre Söhne

Untertitel
Roman
Beschreibung

„Der Feind bringt euch die Freiheit!“, stand auf dem Plakat, das die Soldaten für alle gut sichtbar aufhängten, nachdem sie Marthas Dorf in Süddeutschland eingenommen hatten. Dass Deutschland den Krieg verlieren könnte, war für Martha unvorstellbar gewesen. Fassungslos ist sie, wie die meisten Bewohner ihres Ortes, durch die Niederlage gedemütigt und von den Siegern verspottet – so empfindet sie es zumindest. Obwohl immer mehr Verbrechen des NS-Regimes ans Licht kommen, „darunter etliche Taten, die bis vor Kurzem als Ruhmestaten gegolten hatten“, sieht Martha bei sich weder Verantwortung für Krieg, Massenmord und Ausplünderung noch (Mit-)Schuld an dem begangenen Unrecht. Schließlich hatte sie persönlich niemanden gemordet oder gequält oder ans Messer geliefert. Sie war lediglich von der Richtigkeit ihres Denkens, Fühlens und Handelns überzeugt – und sie ist es noch immer. Aber Martha hat auch Angst vor der Rache der Sieger.
(Klappentext)

Verlag
Verlag Klöpfer & Meyer, 2016
Format
Gebunden
Seiten
180 Seiten
ISBN/EAN
978-3-86351-414-3
Preis
20,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Kurt Oesterle, 1955 in Oberrot geboren, studierte Literatur, Geschichte und Philosophie, Dr. phil., seit 1988 freier Autor und Journalist, insbesondere für die Süddeutsche Zeitung und das Schwäbische Tagblatt, aber auch für Zeitschriften wie “Allmende” oder “Rowohlts Literaturmagazin”.

Zum Buch:

Hatte ihr Vater nicht prophezeit: „Schafft es der Feind bis ins Dorf, bringt er alle um“? Zur eigenen Sicherheit vernichtet Martha alles, was sie als überzeugte NS-Anhängerin entlarven könnte, und verlässt in den ersten Wochen nach Kriegsende das elterliche Haus so selten wie möglich. Die Sieger aber nehmen keine Rache, ganz im Gegenteil: Sie schenken Kindern Kaugummis und versuchen junge Menschen wie Martha in politischen Umerziehungskursen, sogenannten ‚Demokratiestunden’, von der Falschheit des nationalsozialistischen Denkens zu überzeugen. Sie werben für Demokratie.

Martha traut all dem nicht, hat sie sich doch nie unfrei gefühlt. Ebenso wenig sieht sie sich als Angehörige einer verführten Jugend an, denn sie war immer „voll und ganz einverstanden gewesen mit dem Regime und seinen Großtaten“. Martha ist orientierungslos. „Die Zeit schien auf der Stelle zu treten, es gab weder Vergangenheit noch Zukunft. Es gab nur die immer gleiche Gegenwart der Besatzung und die Straferwartung.“ In Nächten voller Angst schmiedet Martha einen Plan, um dem Strafgericht zu entgehen: Sie will so schnell es geht ein Kind bekommen. So heiratet sie völlig überstürzt Paule, einen Flüchtling aus „den verlorenen Ostgebieten des Reiches“, den sie fast nicht kennt. Mit 22 Jahren ist Martha Mutter von zwei Söhnen und fühlt sich als solche einigermaßen sicher „vor der Rache der Sieger“.

Kurt Oesterles Roman beginnt mit der sogenannten Stunde Null. Er spannt den Erzählbogen von der Besatzungszeit bis zum staatlichen Wiederaufbau mit der zweiten freien Wahl in der BRD 1953. Unaufgeregt, mit distanziertem Ton, aber auch mit großer Empathie für die Menschen, zeichnet er den schwierigen Übergang von der NS-Zeit zur Gründung der Demokratie nach. Er schildert in klaren Worten menschliche Verheerungen, die zwölf Jahre Diktatur hinterlassen haben. In den Details der Familiengeschichte von Martha, Paule und ihren beiden Söhne Alfred und Helmut leuchtet Oesterle gesellschaftliche Seelenzustände in dieser für Deutschland entscheidenden Politik- und Zeitenwende aus. Nachvollziehbar und überzeugend weist er auf Traumata hin und macht deutlich, wie schwierig ihre Verarbeitung und Überwindung sein kann.

Ralph Wagner, Ypsilon Buchladen & Café, Frankfurt