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Autor
Grunenberg, Antonia

Hannah Arendt und Martin Heidegger

Untertitel
Geschichte einer Liebe
Beschreibung

Antonia Grunenberg entwirft in ihrer Doppel­biographie des umstrittensten Liebespaares des 20. Jahrhunderts ein großes Panorama der Zeit. Eine jüdische Philosophiestudentin trifft in Marburg auf einen rebellischen Philosophen, einen späteren Vordenker der NS-Bewegung. Zwischen Hannah Arendt (1906-1975) und dem verheirateten Martin Heidegger (1889-1976) entwickelt sich eine stürmische Liebesbeziehung. Zehn Jahre später haben die Nazis, von denen Heidegger die nationale »Erweckung« erwartet, die Jüdin ins Exil getrieben. 1950 begegnen sich beide wieder. Die alte Liebe bricht erneut auf, und es beginnt ein kontroverser Dialog über ein Jahrhundert der Zerstörung.

Verlag
Piper, 2006
Format
Gebunden m. Abb.
Seiten
480 Seiten
ISBN/EAN
978-3-492-04490-5
Preis
22,90 EUR

Zum Buch:

Christine Pries, Frankfurt

Treue zum Feigling Die Zeitläufte haben sie zu einem der berühmtesten Liebespaare der Philosophiegeschichte gemacht: Von der legendären Beziehung zwischen Hannah Arendt und Martin Heidegger war in den letzten Jahren allerdings vor allem aus der Schlüssellochperspektive die Rede. Spätestens mit der Veröffentlichung ihres lückenhaften Briefwechsels 1998 trat mehr und mehr die Frage in den Vordergrund, ob die jüdische Denkerin je von dem großen Philosophen losgekommen ist, mit dem sie als junge Frau eine heimliche Liebesbeziehung begann – bevor der Nationalsozialismus sie ins Exil trieb und Heidegger sein umstrittenes Rektorat an der gleichgeschalteten Universität Freiburg übernahm. Schlimmer noch: Nahmen sie die Beziehung in vollem Umfang wieder auf, als sie sich 1950 wiederbegegneten, womöglich im Wissen von Heideggers Frau Elfride? Wie in Catherine Cléments Romanfantasie Martin und Hannah (1999) wurde manche Informationslücke durch wüsteste Spekulationen gefüllt, die Phantasie vieler Nachgeborener trieb wilde Blüten. Noch die Veröffentlichung von Elfrides Briefen an Heidegger im letzten Jahr gab Anlass zu einem Seitenblick darauf, ob Arendt – bei all den Affären Heideggers, die nun öffentlich wurden – tatsächlich die große Liebe seines Lebens gewesen war, für die sie selbst sich immer gehalten hatte. Obwohl auch sie vor romantisierenden und letztlich spekulativen Formulierungen gelegentlich nicht gefeit ist, versucht Antonia Grunenberg in Hannah Arendt und Martin Heidegger von Anfang an, einen sachlicheren Ton anzuschlagen. Ihr geht es neben den persönlichen auch um die theoretischen Verflechtungen der beiden. Sie unternimmt den Versuch, beider Leben und Werk aus einem gemeinsamen geistigen Milieu heraus zu entwickeln, aus dem die hochbegabte Studentin und der schon in jungen Jahren berühmte Philosoph stammten, der sein Gebiet und die Universität im ganzen revolutionieren wollte. Als Dritter im Bunde wird Arendts Doktorvater und Heideggers zeitweiliger “Mitrevolutionär” Karl Jaspers ausführlich in die Darstellung einbezogen. Antonia Grunenberg Hannah Arendt und Martin Heidegger Geschichte einer Liebe Piper Verlag, München / Zürich 2006, 480 Seiten, 41 Abb., 22,90 Euro. Durch die Schilderung dieser “gemeinsamen Welt” der 1920er Jahre, “ in der kommunistische, messianische, jüdische und christliche, zionistische, nationalistische und rassistische Traditionen gleichzeitig gegen-, in- und miteinander wirkten, sich abstießen und beeinflußten”, gelingt es Grunenberg, nicht nur den radikalen Bruch, den der Nationalsozialismus bedeutete, in all seiner Härte darzustellen. Sie findet auch einen Schlüssel dafür, warum unsere Protagonisten, ob Opfer oder Täter, auch in der Nachkriegszeit nicht einfach voneinander lassen konnten. Denn das eigentliche Skandalon, das die Beziehung zwischen Arendt und Heidegger noch heute umgibt, ist ja nicht Arendts knapp anderthalbjährige Affäre mit ihrem verheirateten Professor, sondern warum sie, die streitbare politische Denkerin, als Jüdin und Opfer des Nationalsozialismus nach dem Krieg die Freundschaft zu Martin Heidegger wieder aufnehmen konnte, obwohl sich dieser von seiner zeitweiligen Einlassung mit dem Nationalsozialismus niemals eindeutig distanzierte, weder Schuld eingestehen wollte, noch sich zu seiner Verantwortung bekannte. In aller Ausführlichkeit beschreibt Grunenberg Arendts schwankende Gefühle gegenüber Heidegger. Obwohl es vordergründig so aussah, als wäre die alte Verbundenheit wieder hergestellt – sie sah ihn bei fast allen ihrer Besuche in Deutschland und setzte sich in den USA für die Übersetzung und Verbreitung seiner Schriften ein , blieb sie doch misstrauisch, zumal er – wie auch in der Auseinandersetzung mit Jaspers – der direkten Konfrontation mit der Vergangenheit auswich. Sie hielt ihn nach wie vor für einen genialen Philosophen, aus dessen Werk sich für die Schülerin, die sich nach dem Traditionsbruch, den der Nationalsozialismus in ihren Augen auch für das Denken bedeutete, nicht mehr als Philosophin verstehen wollte, auch für ihre eigenen Überlegungen viele Anknüpfungspunkte ergaben. Politisch hielt sie ihn jedoch für einen “Feigling”, was sich bis zu ihrem Tod 1975 nicht ändern sollte. Geradezu ergreifend ist, wie Arendt selbst sich diese “Treue” erklärt, deren Alternative für sie nicht Untreue, sondern die Auslöschung von “Wahr-gewesenem” gewesen wäre. Wie auch im Streit etwa mit ihren ehemaligen zionistischen Mitstreitern deutlich wird, war Arendt in der Lage, sachliche Differenzen von persönlicher Freundschaft strikt zu trennen. Spektakulär Neues erfährt man aus Grunenbergs Studie nicht. Weitergehend Interessierte werden auch nach der Lektüre dieses Buches um die Standardbiografien von Elisabeth Young-Bruehl über Arendt und Rüdiger Safranski über Heidegger sowie um philosophische Spezialuntersuchungen nicht herumkommen. Grunenbergs Buch besticht durch die Zusammenschau der vielen Details, die sie akribisch zusammengetragen hat, vorsichtig interpretiert und wo nötig auch von zwei konträren Seiten beleuchtet. Sie malt ein Sittenbild, in dem auch den Nebenfiguren in den persönlichen und professionellen Netzwerken ungewöhnlich viel Raum gegeben wird. Großartig etwa ihre Schilderung des Milieus um die Partisan Review, an der Arendt zeitweilig mitarbeitete. Grunenberg hat kein philosophisches Buch und auch keine bloße (Doppel)Biographie, sondern eine Kulturgeschichte geschrieben. Sie entwirft das Panorama einer heute bereits entrückten und immer weiter entrückenden und daher kaum mehr vorstellbaren Zeit – des Vorkriegs, in der der existentielle Aufstand gegen die Schulphilosophie mit einer elitären Grundhaltung durchaus vereinbar war, erhitzte politische Diskussionen einem letztlich apolitischen Verhalten nicht im Wege standen; und der ersten 30 Jahre nach dem Krieg, in denen das Ringen um Schuld und Verantwortung von heute aus gesehen unübersichtliche Fronten zeitigte. Arendts Auseinandersetzung mit dem Zionismus und die Fragen, die ihr skandalumwittertes Eichmann-Buch aufwarfen, haben mit Blick auf die Lage im Nahen Osten nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Man mag darüber streiten, ob Grunenberg, die stark mit Arendt sympathisiert, sich gegenüber Heidegger, den sie gerade ab 1945 zunehmend durch Arendts ambivalente Brille betrachtet, in ihrem Urteil nicht zu sehr zurückhält; ob sie ihn durch die Verortung seines Denkens im Vorkriegsmilieu und ein gewisses Verständnis etwa für seine Furcht vor dem Kommunismus, das durch die Zeilen schimmert, nicht letztlich vorschnell ,entschuldet’. In gewisser Weise gibt sie die Frage, wie viel Verantwortung Menschen tragen, die aus einem elitären und letztlich unpolitischen Universitätsmilieu stammen und Radikalisierungen wie z.B. der nationalsozialistischen Propaganda “geistig entwaffnet” gegenüberstehen, an den Leser zurück. Abgesehen davon, dass sich diese Frage historisch – und aktuell – immer neu stellt, hat Arendt, so viel wird bei Grunenberg allenthalben klar, die Verantwortung übernommen, die ihr Schicksal ihr aufzwang; Heidegger aber hat sich zeitlebens davor gedrückt. Das Geheimnis ihrer Liebe lüftet auch Antonia Grunenberg nicht. Aber das spricht nicht gegen, sondern für dieses Buch.