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Autor
Petterson, Per

Nicht mit mir

Untertitel
Roman. Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger
Beschreibung

Per Petterson ist keiner, der oft vom Glück erzählt. Seine Figuren – häufig Väter und Söhne – leben in brüchigen Verhältnissen oder werden aus der Bahn geworfen. Aber weil Petterson seine Geschichten mit großer Sensibilität und Sympathie erzählt, empfindet der Leser bei der Lektüre das Glück, das den handelnden Personen so oft versagt bleibt. So ist es auch in seinem neuen Buch.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Hanser Verlag, 2014
Format
Gebunden
Seiten
288 Seiten
ISBN/EAN
9783446246041
Preis
19,90 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Per Petterson, geb. 1952 in Oslo, ist ausgebildeter Bibliothekar und arbeitete als Buchhändler und Übersetzer, bevor er sich als Schriftsteller etablierte.

Zum Buch:

Per Petterson ist keiner, der oft vom Glück erzählt. Seine Figuren – häufig Väter und Söhne – leben in brüchigen Verhältnissen oder werden aus der Bahn geworfen. Aber weil Petterson seine Geschichten mit großer Sensibilität und Sympathie erzählt, empfindet der Leser bei der Lektüre das Glück, das den handelnden Personen so oft versagt bleibt. So ist es auch in seinem neuen Buch.

Es beginnt damit, dass Tommy und Jim – in der Jugend unzertrennliche Freunde – nach 35 Jahren, in denen sie keinen Kontakt zueinander hatten, zufällig für ein paar Minuten aufeinandertreffen. Damals fühlten sie sich über eine „Strombrücke“ miteinander verbunden und der eine wusste immer, was der andere wollte. Diese Brücke verband sie trotz aller Gegensätzen in ihrem Leben.

Jim, der seinen Vater nie gekannt hat,wächst bei seiner frommen Mutter in geordneten Verhältnissen auf. Tommys Mutter hat die Familie verlassen und ihn, seine Schwester Siri und die beiden kleinen Zwillinge bei dem gewalttätigen Vater zurückgelassen, der die Kinder brutal prügelt – bis Tommy ihm mit einem Baseballschläger das Bein zertrümmert. Dann verschwindet auch der Vater, und die Geschwister werden von den Behörden getrennt. Die Freundschaft von Jim und Tommy scheint unverbrüchlich, bis – in einer atemberaubenden Szene! – sich in einer kalten Winternacht beim Schlittschuhlaufen auf dem See alles ändert.

Als sie sich wieder begegnen, ist Tommy erfolgreicher Finanzmakler, der zu viel trinkt, und Jim, der seit dem Ende der Gymnasialzeit unter Depressionen leidet, arbeitet als Bibliothekar, ist jedoch seit einem Jahr wegen psychischer Probleme krank geschrieben.

Petterson beschreibt die Lebensgeschichten der beiden Freunde in kurzen Abschnitten. Er erzählt von Menschen – Erwachsenen wie Kindern – die sich auf dünnem Eis bewegen, weil sie nie stabile Beziehungen kennengelernt haben. Die sich selbst nicht kennen und daher auch andere nicht verstehen, die nicht wissen, was mit ihnen geschieht, deshalb nicht darüber sprechen und daher weder sich noch anderen helfen können – ein Teufelskreis der Einsamkeit, dem niemand in diesem Buch entgeht.

„Nicht mit mir“ ist alles andere als eine der so beliebten „coming of age“ Geschichten. So locker sich der Text liest – er hat Widerhaken, weil alles in der Geschichte fragmentarisch bleibt und das Geschehen nie schlüssig erklärt wird. Da die Motive für die Handlungen der Personen zumeist unklar bleiben, stolpert der Leser durch das Buch wie die Figuren durch ihr Leben. Zeiten und erzählende Personen wechseln in den kurzen Abschnitten, und man fragt sich beim Lesen, ob und wenn ja welches Muster dahinter steckt. Warum wird wann aus welcher Perspektive erzählt? Mal spricht Tommy, mal Jim, dann Tommys Schwester Siri und mal ein Erzähler. Wird, was die Personen selbst nicht aussprechen können, in der dritten Person erzählt? Warum erfährt man über eine so zentrale Figur wie Jims Mutter überhaupt nichts, während Tommys Familiengeschichte ausführlich beschrieben wird? Und warum fehlen bei fast allen Fragen im Text am Ende die Fragezeichen?

Das Buch liest sich ungeheuer spannend, obwohl Petterson den Leser mit seiner lakonischen Sprache auf Distanz hält und eine vorbehaltlose Identifikation mit den handelnden Personen verhindert – was angesichts der Härte, die den Text durchzieht, nur gut ist. Aber dann blitzen plötzlich Momente auf, in denen Glück da ist, hell und übermütig, und man hält den Atem an, weil man ahnt, wie flüchtig das sein wird. „Nicht mir mir“ ist ein packendes Buch, verwirrend, berührend und voller Fragen – sehr zu empfehlen!

Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt