Zum Buch:
Den echten, den einzigen caffè gibt es nur in Neapel. Aber Stadt und Geschichte haben deutlich mehr an Außergewöhnlichem zu bieten: Neapels BewohnerInnen waren die ersten in Europa, die sich gegen die deutsche Besatzung erhoben haben, 1943, mit Erfolg. Und Neapel ist die einzige Stadt der Welt, in der ein Museum vorsätzlich abgefackelt worden ist – im Jahr 2013. Maike Albath wandelt in den Gassen von Napoli, taucht ein in deren kulturgeschichtliche Schätze und fördert sprichwörtlich Sagenhaftes, kaum Bekanntes, durchaus auch Schockierendes zutage.
Seit die Firma Ferrero 2014 den 50. Geburtstag von Nutella auf der neapolitanischen Piazza del Plebiszito mit der gloriosen Idee von Nutella-Aufstrich auf Pizzen feierte, ist Neapel verloren: Jahr um Jahr mehren sich die Touristen. 2022 zählte man 11 Millionen Besucher, und in einigen Straßen sind bereits Laufrichtungen festgelegt worden. Neapel ist zur Marke geworden.
Den Touristenmassen entflieht Albath in den Palazzo von Benedetto Croce. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war er einer der reichsten Männer Italiens, der es vorzog, Privatgelehrter und Philosoph zu werden, die Literaturkritik zu revolutionieren, seine neapolitanischen Residenz zu einem Hort der Opposition gegen den Faschismus und zu einer der größten Privatbibliotheken Italiens zu machen. Neben Croce stellt Albath viele andere „Heilige“ Neapels vor, von denen nicht alle gleichermaßen bekannt sind: „Goldfuß Maradona“, Matilde Serao, die furchtlose und ehrgeizige Schriftstellerin der Wende zum 20. Jahrhundert mit dem „Gemüt eines Gladiators“, Anna Maria Ortese, die lebenslang einen ungestillten Hunger nach Neapel in sich trug, in ihren Reportagen und Romanen die Ursachen der Armut auslotete und aus dem neapolitanischen Leben gleich einem „Reservoir des Wundersamen“ schöpfte. Auch Erri de Luca, Elena Ferrante und die Camorra fehlen nicht. Dazwischen: Spaziergänge durch die Stadt, Ausflüge an das Meeresufer, nach Scampia, auf das ehemalige Fabrikgelände von Bagnoli, zu dem Architekten, der in diese historische Industrielandschaft ein Museum integrierte, ebenjenes, das 2013 in Brand gesetzt wurde.
In den wunderbar leichtfüßig geschriebenen Essays ist ein Verweilen so erholsam, so erhellend. Albath vermag in gleichem Maß zu fesseln wie Neapel selbst – dieses Buch hat etwas Magisches.
Susanne Rikl, München