Zum Buch:
Nürnberg im Jahr 1780: Lizenziat Nicolai Röschlaub ist nicht sehr davon angetan, so spät am Abend noch zu einem Krankenbesuch aufbrechen zu müssen. Er will jedoch seine Stelle beim Stadtphysikus Müller keinesfalls verlieren. Schließlich sind ihm die Ereignisse, die ihn erst wenige Monate zuvor zum Ortswechsel zwangen, noch gut im Gedächtnis. Unter dem Spott und Zorn sowohl seiner Kollegen als auch der Obrigkeit hatte er seine Heimatstadt Fulda verlassen müssen, weil er gewagt hatte, den zahllosen und widersprüchlichen Meinungen der medizinischen Lehrbücher seine eigene Theorie über die Ursachen und Verbreitungswege einer fiebrigen Erkrankung hinzuzufügen. Zwar konnte er die Richtigkeit seiner Überlegungen durch nichts beweisen, doch die ignorante und selbstherrliche Haltung seiner Kollegen hatte den wissbegierigen jungen Arzt zutiefst enttäuscht. Auch hatte ihn diese Erfahrung gelehrt, dass es nicht ungefährlich ist, eine eigene Meinung zu haben. Als nun die Magd des Grafen Alldorf vor ihm steht und erklärt, der Graf sei zwar seit Monaten krank, jetzt müsse jedoch sofort ein Arzt zu ihm kommen, bleibt dem Lizenziaten keine Wahl. Geschickt habe sie der Kammerdiener Selling, erfährt Röschlaub von der Magd, die seit Stunden auf ihn gewartet haben musste. Obwohl ihm die angebliche Dringlichkeit und auch die sonstigen Umstände dieses Auftrags seltsam erscheinen, macht er sich auf den beschwerlichen Weg, denn einen Grafen lässt man nicht warten. Im Schloss sieht der Arzt sich vor das Problem gestellt, einen Patienten untersuchen zu sollen, zu dessen Aufenthaltsort er keinen Zutritt hat. Graf Alldorf befinde sich seit Tagen in seiner Bibliothek, kein Lebenszeichen ist von ihm zu vernehmen, und die Bibliothek zu betreten, sei jedweder Person strengstens verboten, heißt es. Während der Gutsverwalter Kalkbrenner auf Einhaltung dieser Regel beharrt, plädiert Kammerdiener Selling dafür, sich über das Verbot hinwegzusetzen, um über den Zustand des Grafen Sicherheit zu erlangen. In diesem scheinbar unlösbaren Konflikt greift Röschlaub zu einer List, die beiden Positionen zu ihrem Recht verhilft. Dies ist die Anfangskonstellation eines ungemein spannenden Romans, der in den Jahren kurz vor der Französischen Revolution angesiedelt ist. Eine seltsame Krankheit breitet sich aus, grässliche Morde und unerklärliche Selbstmorde geschehen, Postkutschen werden überfallen und komplett verbrannt, ohne dass jedoch die Passagiere ausgeraubt würden. Sind Raubdrucke das Ziel der Anschläge? Ungeheure Geldmengen werden unterschlagen und verschoben wohin und zu welchem Zweck? Es ist die große Zeit der Geheimgesellschaften: Rosenkreuzer und Illuminaten planen sie einen Umsturz? Justizrat Di Tassi aus Wetzlar ermittelt insgeheim, um herauszufinden, ob und wie die vielen Todesfälle und die dubiosen Überfälle zusammenhängen, und er macht Nicolai Röschlaub, auf dessen scharfen Verstand er während seiner Ermittlungen aufmerksam wird, zu seinem Gehilfen… Mehr soll an dieser Stelle zum Inhalt des Buches nicht verraten werden. Fleischhauer versteht es geschickt, den Spannungsbogen bis zum Ende des Buches aufrecht zu erhalten. Immer wenn man glaubt zu wissen, wie der Hase läuft, nimmt die Handlung eine unerwartete Wendung, und die Spannungsschraube wird ein Stückchen weiter gedreht. Ein intelligentes, zum Nachdenken anregendes Lesevergnügen, das weder den Vergleich mit Gordons “Medicus” noch den mit Ecos “Der Name der Rose” zu scheuen braucht. Zu empfehlen nicht nur für Fans von kriminalistischen und historischen Romanen!
Ralph Wagner, Ypsilon Buchladen & Café, Frankfurt.