Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Meyer, Philipp

Rost

Untertitel
Roman. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert
Beschreibung

Der junge, ebenso intelligente wie sensible Isaac English will nur noch weg. Weg von seinem kranken, jähzornigen Vater, weg von der vor sich hinsterbenden, rostbraunen Stahlarbeiterstadt. Er will nach Westen, nach Kalifornien. Er hat Pläne. Da geschieht unversehens ein Mord. Er hat ihn aus reiner Notwehr begangen, um seinen besten, seinen einzigen Freund zu retten. Ein Buch über die Auswirkungen des amerikanischen Traums, über gebrochene Versprechungen, über Freundschaft und deren Grenzen. Philipp Meyer hat einen ebenso großen wie großartigen Roman amerikanischer Gegenwartsliteratur geschrieben. Mein Tipp für diesen Leseherbst und weit darüber hinaus.

Verlag
Klett Cotta Verlag, 2010
Format
Gebunden
Seiten
464 Seiten
ISBN/EAN
978-3-608-93893-7
Preis
22,95 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Philipp Meyer, geboren 1974, ist in Baltimore aufgewachsen und hat in Cornell Englisch studiert. Anschließend war er u. a. als Börsenhändler und Bauarbeiter tätig. Seine Prosa ist in verschiedenen Zeitschriften und Magazinen erschienen. Von 2005 bis 2008 war er Fellow am Michener Center for Writers in Austin. „Rost“ ist sein erster Roman. Er lebt heute in Texas.

Zum Buch:

Ausnahmsweise möchte ich einmal mit dem Übersetzer anfangen, bevor ich mich über Buch und Schriftsteller auslasse. Es ist Jahre her, im Anschluss an eine Lesung, da habe ich mich einmal mit dem Übersetzer Frank Heibert ausgiebig über dessen Arbeit unterhalten, und danach habe ich die gewaltige Aufgabe verstanden, die sich hinter einem solchen Projekt verbirgt, aber auch die teilweise aufreibende Einbindung in die Persönlichkeit des Autors mit noch größerer Bewunderung zu schätzen gelernt.

Jetzt hat Frank Heibert den Roman „American Rust“ von Philipp Meyer ins Deutsche übertragen, und während man liest, findet man immer wieder die Zeit, ihn für diese exzellente Arbeit zu bewundern und zu loben. (Und nicht gerade zu beneiden.) Das muss eine Mordsanstrengung gewesen sein, eine Plackerei, die sich, für den Autor wie für den Leser natürlich, bis zum letzten Satz gelohnt hat. Jetzt aber zum Buch. Buell in Fayette County, Pennsylvania. Von den Einheimischen auch Fayette-nam genannt. Das hier war früher mal eine blühende, laute Stahlwerkstadt, in der Tausende Arbeiter mit ihren Familien lebten, aber das ist viele Jahre her. Seitdem hat der umliegende Wald sich seinen Teil zurückgeholt und seitdem rosten die alten Anlagen und überhaupt alles still vor sich hin. Der Ort selbst wirkt wie verlassen, jeder zweite Laden ist zugenagelt, vor den Häusern verwittern die „Zu-verkaufen“-Schilder. Die Mutter, mit ein paar Pfund Steinen in den Manteltaschen, ist in den Fluss gestiegen. Fünf Jahre ist das jetzt her. Seitdem kümmert sich der junge Isaac English um seinen nervenkranken, jähzornigen, an den Rollstuhl gefesselten Vater. Aber jetzt hält er das nicht mehr aus. Es ist genug. Er haut ab. Will nach Kalifornien. An die Uni. Einen Neustart wagen. In seinem Rucksack befinden sich neben einem Schlafsack, etwas Wechselwäsche, den Lehrbüchern für Astrophysik und all den Kladden mit Zeichnungen von Vögeln und Waldtieren etwa 4000 Dollar, die er dem Alten in der Nacht zuvor geklaut hatte. Er will erst mal bis nach Pittsburgh und dann rauf auf einen Kohlenzug, der ihn weiter bringt. Sein bester, sein einziger Freund, Poe, ein ehemaliger Footballchampion, der allein mit seiner Mutter in einem heruntergekommenen doppelbreiten Trailer lebt und gerade mit viel Dosenbier und Nichtstun das Ende seiner Bewährungsstrafe abwartet, wird ihn ein Stück des Weges begleiten.  Sie kommen aus dem Wald heraus und auf das überwucherte Gelände einer der ehemaligen Fabriken, als ein Unwetter losbricht. In der alten Maschinenhalle finden sie Schutz und einen Holzofen. Isaac macht Feuer. Sie reden. Plötzlich ein Geräusch, eine Tür geht auf und da stehen drei verwahrloste Männer mit Rucksäcken im Halbdunkel. Obdachlose. Es kommt zum Streit. Das war vorauszusehen. In Notwehr, um Poe zu Hilfe zu kommen, tötet Isaac einen der Männer. Und ab da ist alles verändert. Es geht um Freundschaft. Um Zwänge. Um Angst. Große Angst. Und tiefsitzende Wut. Es geht um die andere Seite des längst ausgeträumten amerikanischen Traums und um den hellen Schrecken, dem man nach dem Aufwachen erliegt. Es geht um Fragen. »Kann ich dir vertrauen? Und wenn ja: wie weit? Und wie oft darf jemand sein Versprechen brechen, bis du es ihm irgendwann nicht mehr verzeihen kannst?« Nachdem ich Philipp Meyers Debütroman beendet hatte, war mir nur zu deutlich bewusst, dass ich so etwas wie dies hier nie zuvor gelesen hatte. Seine Wortgewandtheit, seine besondere Fähigkeit, eine Landschaft zu vermitteln, sein Spürsinn für diese eine wichtige Szene, an die man sich klammert wie an etwas, das man nicht wieder herzugeben bereit ist, all das wird noch übertroffen durch die ihm ganz und gar eigene Form, die Gedankengänge der Protagonisten so darzustellen, dass man den Eindruck behält, sie wirklich gekannt zu haben. Ich weiß nicht, ob das verständlich herüberkommt, das Beste ist, Sie lesen selbst, Sie werden dann schon wissen, was ich meine.    Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln