Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Galera, Daniel

Flut

Untertitel
Roman. Aus dem Portugiesischen übersetzt von Nicolai von Schweder-Schreiner
Beschreibung

Der Roman „Flut“ erzählt auf völlig unspektakuläre Weise die Geschichte eines jungen Mannes, der sich auf die Suche nach seiner Vergangenheit begibt und dabei alte Wunden wieder aufreißt. Erschwerend kommt dabei noch hinzu, dass er sich keine Gesichter merken kann, nicht mal sein eigenes, wenn er in den Spiegel schaut. Ein gewaltiger Roman, der gerade durch seine einfache Erzählstruktur überzeugt.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Suhrkamp Verlag, 2013
Format
Gebunden
Seiten
425 Seiten
ISBN/EAN
978-3-518-42409-4
Preis
22,95 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Daniel Galera, geboren 1979, lebt in Porto Alegre. Er hat Erzählungen, eine Graphic Novel und drei Romane geschrieben. Sein Werk ist vielfach ausgezeichnet, verfilmt und fürs Theater adaptier worden. Galera hat u.a. Zadie Smith, Jonathan Safran Foer, David Foster Wallace und Hunter S. Thompson ins brasilianische Portugiesische übersetzt. „Flut“ ist sein erstes Buch in deutscher Sprache.

Zum Buch:

Vater und Sohn sitzen vor einer windschiefen Holzhütte am Strand. Sie trinken ein paar gemeinsame Biere, während sie sich über den Großvater unterhalten, den man seinerzeit den Gaucho nannte und der ein ziemlicher Raufbold und immer schnell mit dem Messer zur Hand gewesen sein soll. Die genauen Umstände seines Todes liegen bis heute im Dunkeln, sagt der Vater, niemand weiß, was damals wirklich in diesem Fischerdorf geschehen ist. Dann sieht er seinen Sohn an und nimmt ihm das Versprechen ab, sich um die alte Hündin, die über so viele Jahre seine treue Begleiterin gewesen ist, zu kümmern und sie einschläfern zu lassen. Nach seinem Selbstmord.

Szenenwechsel. Der Sohn fährt die Küstenstraße Richtung Süden entlang. Auf dem Rücksitz, im Kofferraum und auf dem Dachgepäckträger befindet sich die gesamte Habe des jungen Mannes. Zusammengerollt auf dem Beifahrersitz liegt die Hündin. Er hat es nicht übers Herz gebracht, dem letzten Wunsch seines Vaters nachzukommen.

In dem ehemaligen Fischerdorf Garopaba hält er an und findet bald schon eine Bleibe direkt am Meer. Er zahlt die Miete für ein Jahr im Voraus. An den Badezimmerspiegel klemmt er die Fotografie seines Großvaters, des Gauchos, die ihm sein Vater noch geschenkt hat. Er vergleicht sein Spiegelbild mit dem Foto. Erkennt Gemeinsamkeiten. Doch da er an einer neurologischen Erkrankung leidet und sich einfach keine Gesichter merken kann, weiß er auch, daß er spätestens morgen früh nicht einmal sich selbst im Spiegel wiedererkennen wird.

Er sucht sich einen Job als Schwimmlehrer, pflegt die Hündin und lebt ansonsten sehr spartanisch. Er schwimmt tagtäglich weit raus ins offene Meer, unternimmt lange Wanderungen, verliebt sich, kann sich aber schon bald nicht mehr an das Gesicht der Frau erinnern, und auf seiner Suche nach den Spuren des Großvaters stößt er auf ein Geflecht von Halbwahrheiten, vagen Andeutungen und direkten Drohungen, denn hier will niemand auf die alte Geschichte mit dem Gaucho angesprochen werden. Der junge Mann jedoch bleibt hartnäckig und geht schließlich einen Schritt zu weit.

Kaum zu glauben, dass das der erste ins Deutsche übersetzte Text von Daniel Galera ist, denn nachdem man „Flut“ gelesen hat, nein, noch während man „Flut“ liest, hofft man gleich auf mehr aus der Feder dieses außergewöhnlichen Erzähltalents. Und dabei passiert eigentlich gar nicht so viel in diesem Roman. Ein junger Mann begibt sich auf die Suche nach seiner eigenen Vergangenheit, und was er dabei herausfindet, wirft ihn um wie eine Sturzwelle. Das Besondere, das, was bei dieser Erzählweise so deutlich heraussticht, ist die völlige Abwesenheit von Wichtigtuerei, da ist kein großes Lamento, und gerade diese einfache Beschreibungsform, dieses Unprätentiöse, das überzeugt und zieht den Leser förmlich in seinen Bann. Man könnte fast meinen, diese Geschichte sei wahr.

Und gibt es denn ein größeres Lob für einen Roman?

Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln