Zur Autorin/Zum Autor:
Denise Affonço wurde 1944 als Tochter eines Franzosen und einer Vietnamesin geboren, sie ist heute am EU-Institut für Sicherheitsstudien in Paris tätig.
Dies ist der erschütternde Bericht einer jungen Frau, die vier Jahre unter der Herrschaft der Roten Khmer gelitten und beinahe alles verloren hat. Hier ist ihre Geschichte. Offen. Bemüht nüchtern. Dann doch wieder in einer Leidenschaft. Gelebtes Leben. Fast wie mündlich erzählt. Ein ergreifendes Stück Literatur.
Als die Roten Khmer am 17. April 1975 bis an die Zähne bewaffnet in Phnom Penh einmarschierten, wurden sie als Sieger gefeiert. Von allen Seiten stürzten die Menschen auf die Straßen, verteilten Blumen und Tsing-tao-Bier an die Befreier und skandierten: Die revolutionären Soldaten sie leben hoch! Endlich. Endlich war der verhasste General Lon Nol, eine Marionette der Amerikaner, gestürzt worden, endlich würde es Frieden geben.
Die revolutionären Soldaten sie leben hoch! Doch die meist sehr jungen Kämpfer in ihren schwarzen Pyjama-Uniformen und den aus Autoreifen gefertigten Sandalen kamen nicht als Befreier. Vielmehr traten sie auf wie die neuen Herren. Ein Haufen gefährlicher, brutaler Irrer, wie sich schon bald herausstellen sollte. Und Frieden? Es gab keinen. Im Gegenteil, als die vietnamesische Armee vier Jahre später das grausame Pol-Pot-Regime stürzte, waren von sieben Millionen Kambodschanern geschätzte zwei Millionen gestorben; in den Arbeitslagern verhungert, in den Gefängnissen zu Tode gefoltert, öffentlich hingerichtet oder, um Kugeln zu sparen, mit Äxten und Spaten erschlagen und hernach verbrannt und als menschlicher Dünger verwendet. Szenenwechsel. Ein Reisfeld. Die Sonne steht hoch. Den Rock zwischen die Beine gebunden, der Blutegel wegen, steht eine junge Frau gebückt im trüb-grauen Wasser und setzt Keimlinge ein. Sie wiegt keine 90 Pfund und obwohl sie völlig geschwächt ist und dazu noch hohes Fieber hat, gilt ihre ganze Aufmerksamkeit einem unter ihrer Bluse versteckten Glas mit Deckel, darin ein kleiner Fisch und ein Krebs, die sie, sollte sie nicht erwischt werden, heute Abend gemeinsam mit ihrer Schwägerin und deren Kindern teilen will. Ein Festessen. Zusätzlich zu der Schale dünner Reisbrühe. Ihr Mann, der anfänglich noch voller Begeisterung und Vertrauen dem kommunistischen Regime gegenüberstand, wurde vor einiger Zeit nach Westen gebracht, also verschleppt und hingerichtet. Ihren zehnjährigen Sohn steckte man zur Arbeit in ein Umerziehungslager; die siebenjährige Tochter ist vor einer Woche einfach nicht mehr aufgewacht. Vor ihren Augen verhungert. Als sie an diesem Abend in die Baracke zurückkehrt, muss sie zu ihrem Entsetzen feststellen, dass der Krebs den Fisch aufgefressen hat. Ein Schock. Doch sie lernt daraus. Denise Affonço, fünfunddreißig Jahre alt, Tochter eines Franzosen und einer Vietnamesin, wird, gemeinsam mit ihrem Sohn, diese Hölle überleben und 1979 als Hauptzeugin im Prozess gegen die Roten Khmer aussagen. In ihrem autobiografischen Bericht beschreibt sie in ihrer ganz eigenen, nüchternen, jedoch nicht von Emotionen freien Sprache das Grauen, dem sie Tag für Tag, vier schreckliche Jahre lang, ins Gesicht geschaut hatte. Es muss nicht einfach gewesen sein, sich zu erinnern, die schrecklichen Bilder wieder aufkommen zu lassen und auf Papier zu bringen, und so empfindet der Leser tiefsten Respekt vor dem Überlebenswillen und der Kraft dieser Frau. Mich hat dieses Buch sehr bewegt. Gerade durch diesen Erzählstil. Es ist eine Geschichte mit Happyend. Filmreif. Aber erst einmal geschrieben, um sie dem Vergessen zu entreißen. Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln