Zum Buch:
„Reisen in eine beunruhigte Welt“ nennt Navid Kermani seine Berichte aus dem „Krisengürtel“, der sich von Kaschmir bis nach Ägypten zieht und in Lampedusa sein Ende findet. Es sind Reportagen aus den Jahren 2005 – 2012, und am Ende der Lektüre habe ich mehr vom alltäglichen Wahnsinn begriffen, der sich dort abspielt, als es mir die ständigen Fernsehberichte vermitteln.
In kurzen, prägnanten Szenen beschreibt Kermani einen Teufelskreis der Konflikte. Ob es die politische Situation in den einzelnen Ländern ist, die angebliche Unvereinbarkeit von Ethnien, Anschauungen und Religionen, nirgends ist ein klarer Ausweg in Sicht. Zu alt sind viele Auseinandersetzungen, zu viele Parteien mit zu vielen unterschiedlichen Interessen haben daran mitgewirkt und tun es noch heute.
Kermani schildert, oft in kurzen Gesprächen, einzelne Schicksale. die dem Leser beispielhaft und mit voller Wucht klarmachen, worin die Probleme im jeweiligen Land bestehen. Diese haben zumeist eine lange, verwickelte Geschichte und lassen sich selten auf einen eindeutigen Nenner bringen. Das Fatale daran ist: Nutznießer all der nationalen, ethnischen und religiösen Konflikte sind Islamisten, die über all dort zur Stelle sind, wo das labile Gefüge der Gesellschaften ins Wanken gerät. Sie sind die letzten Totengräber von Vielfalt und Lebendigkeit und Toleranz.
Dass die Lektüre dennoch nicht deprimiert, liegt an Kermanis Fähigkeit, Situationen und Personen genau und pointiert, aber auch mit großer Poesie zu zeichnen. Daran, dass er Menschen und keine abstrakten Sachverhalte in den Mittelpunkt stellt. Deren Verzweiflung, Würde, Gleichmut, Wut und Hoffnung berühren unmittelbar und lassen – bei aller Ausweglosigkeit – die Kraft spüren, die sie in sich haben. „Ausnahmezustand“ ist ein mitreißendes und erhellendes Buch. Wärmstens zu empfehlen.
Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt