Zum Buch:
Im Frühjahr 1945 kommt der 25-jährige Melvin J. Lasky als Militärhistoriker mit der amerikanischen Armee via Frankreich nach Deutschland. Er soll Material für eine Geschichte der Invasion sammeln.Der Weg führt über das Elsass, wichtige weitere Stationen sind Mannheim, Stuttgart, Heidelberg, Berlin, München. Seine Tagebücher aus dieser Zeit wurden jetzt aus seinem Nachlass, der im Lasky-Zentrum an der LMU in München aufbewahrt wird, herausgegeben. „Und es war still“ sind die Aufzeichnungen aus der Zeit zwischen Januar 1945 und dem 16. Oktober 1946, wobei der Schwerpunkt auf den ersten Monaten liegt.
Lasky, dessen Eltern nach Amerika eingewanderte Juden polnischer Abstammung sind, hat Geschichte studiert und zählt zum Kreis der „New York Intellectuals“. Seine Aufgabe im Krieg ist es, den Einmarsch der amerikanischen Armee zu dokumentieren, um damit zu einer Geschichte des amerikanischen Invasion beizutragen. Im Gegensatz zu anderen Berichten, z.B. Padovers „Lügendetektor“, ist Lasky nicht so sehr davon erschüttert, dass die Mehrzahl der Deutschen sich als Opfer des Krieges begreift und ihre Schuld nicht anerkennen will. Lasky ist in erster Linie von der massiven Zerstörung überwältigt und vom Umgang der Sieger mit den Besiegten. Beides hält er für verfehlte Politik und vertane Chancen für einen wirklichen demokratischen Neubeginn. Bei tagelangen Fahrten durch die Trümmerlandschaften der Städte, in denen kein Stein mehr auf dem anderen steht, und angesichts davon, dass es z.B. in Kassel kaum ein unzerstörtes Wohnhaus mehr gibt, die ehemaligen Hermann Göring Werke jedoch ihre Schornsteine unversehrt in den Himmel strecken, kommen ihm Zweifel an der Zufälligkeit solchen Geschehens. Das Fraternisierungsverbot, der Umgang mit der Bevölkerung, besonders mit den Frauen, die Plünderungen, Schwarzmarktgeschäfte und die Ignoranz des militärischen Umfelds beim schnellen Aufbau einer effektiven Verwaltung und Infrastruktur sowie der Versorgung der Bevölkerung – all das treibt ihn zur Verzweiflung.
Dass seine Berichte und die seiner Historikerkollegen von den oberen Dienststellen „geschönt“ werden, nimmt er mit Ironie hin. Dass es durch die konsequente Ablehnung jedes „kleinen“ Parteimitgliedes fast unmöglich wird, Deutsche in den Aufbau mit einzubeziehen, weitaus wichtigere Parteimitglieder, wenn sie den Amerikanern als wichtig erscheinen, aber ungeschoren davon zu kommen scheinen, empört ihn. Er bemüht sich um ein differenziertes Bild, spricht mit vielen Menschen und hört ihnen zu. So entsteht das vielfältige Bild eines Landes am absoluten Nullpunkt.
Melvin J. Lakkys Tagebuch besticht durch seinen unmittelbaren Ton, denn es ist nicht auf eine künftige Veröffentlichung hin geschrieben worden. Es ist parteiisch, subjektiv, sehr persönlich, moralisch und emotional und manchmal auch ungerecht. Man merkt dem Autor die europäische Prägung an, die seinen Blickwinkel bestimmt und seine Kontakte prägt. Er trifft sich mit Klaus Mann, freundet sich mit Karl Jaspers und dessen Frau an, korrespondiert mit Hannah Arendt. Seine Interessen reichen von Philosophie, Geschichte, Politik und Literatur bis hin zum Kino.
„Und alles war still“ gibt einen ungeschönten, direkten, facettenreichen Blick auf das erste Jahr nach Kriegsende, und das macht die Lektüre unglaublich fesselnd. Zudem ist Lasky ein vorzüglicher Stilist, der nach dem Krieg lange in Deutschland lebte und publizistisch tätig war. Ein sehr empfehlenswertes Buch!
Ruth Roebke, autorenbuchhandlungmarx&co, Frankfurt