Zur Autorin/Zum Autor:
Corrado Augias, geb. 1935 in Rom, ist einer der bedeutendsten politischen und Kulturjournalisten in Italien, wo er außerdem als Fernsehmoderator, kriminalschriftsteller und Theaterautor bekannt ist.
Ein wunderbares Buch, das überraschende Einsichten und neue Erkenntnisse auch für jene bereithält, die Italien zu kennen meinen. Corrado Augias ist ein in Italien überaus populärer Journalist und Buchautor. Er weiß sehr wohl, wie nah Italien am Abgrund steht – der Staat ist schwach, die Demokratie am Kippen, die Korruption allgegenwärtig, und der politischen Kaste fehlt es an Weitsicht und rettendem Gestaltungswillen. Augias’ Blick ist kritisch, scharfsinnig, zugleich voller – mitunter schmerzlicher – Zuneigung, ja Bewunderung für sein Land, dessen Überfülle an Kunst, Kultur und zivilisatorischen Innovationen seit der Antike auf andere Länder ausstrahlte.
(ausführliche Besprechung unten)
Ein wunderbares Buch, das überraschende Einsichten und neue Erkenntnisse auch für jene bereithält, die Italien zu kennen meinen. Corrado Augias ist ein in Italien überaus populärer Journalist und Buchautor. Er weiß sehr wohl, wie nah Italien am Abgrund steht – der Staat ist schwach, die Demokratie am Kippen, die Korruption allgegenwärtig, und der politischen Kaste fehlt es an Weitsicht und rettendem Gestaltungswillen. Augias’ Blick ist kritisch, scharfsinnig, zugleich voller – mitunter schmerzlicher – Zuneigung, ja Bewunderung für sein Land, dessen Überfülle an Kunst, Kultur und zivilisatorischen Innovationen seit der Antike auf andere Länder ausstrahlte. Heute ist Italien Europas Sorgenkind, dem der Aufbruch in die Moderne nie wirklich geglückt ist – weitverbreitet ist der Mangel an staatsbürgerlichem Bewusstsein, an Gemeinsinn, stattdessen dominiert familienzentrierter Eigennutz und das tief verwurzelte Misstrauen gegenüber dem Staat. „Warum hat die Geschichte der Halbinsel so wenig mit einer Freiheitsgeschichte zu tun?“ fragt sich der Autor. Dieses „Geheimnis“ möchte er lüften, und dazu begibt er sich auf Spurensuche in die Geschichte, erklärtermaßen ohne den Anspruch, endgültige Antworten zu finden. Corrado Augias ist ein hochgebildeter Mann. Auf seiner Suche nach den untergründigen Triebkräften der italienischen Gesellschaft überrascht er mit den unterschiedlichsten Quellen, er liest in Gemälden, Fresken, Filmen, untersucht Biografien wie die von Franz von Assisi oder der Herzogin von Parma, und er nutzt die Literatur. Denn ihr „gelingt es nämlich, auch wenn sie aus Phantasie gewebt ist, die Realität zu potenzieren, und das ist ihre Stärke“. Augias springt von der Gegenwart in die Vergangenheit, verbindet Geschichte mit Geschichten und beglückt uns mit einer schier unglaublichen Detailfülle über die Besonderheiten von Italiens „ruhmreichen und berüchtigten Städten“ wie Palermo, Neapel, Parma, Mailand oder Venedig, die Region Umbrien, den Mezzogiorno. Alles Welten für sich, die noch immer nicht auf einen Nenner zu bringen sind. Die Vielfalt tritt hier nicht nur als Reichtum auf. Die enormen Unterschiede in der kulturellen und politischen Entwicklung erweisen sich auch als ein Hemmnis, das die Herausbildung einer gemeinsamen Identität als ein Staatsvolk erschwert hat. Am tiefsten ist die Kluft wohl zwischen dem stets schon Europa zugewandten Norden und dem mittelmeerischen Mezzogiorno, dessen „Rückständigkeit“ von Augias durchaus emphatisch geschildert wird. Der Norden war an Süditalien – durch einen regelrechten Krieg in die nationale Einheit gezwungen und seither ausgebeutet und vernachlässigt – nie wirklich interessiert. Bereits Camillo Benso Cavour, der aufgeklärte piemontesische Staatsmann und Architekt der Einigung, kam nie weiter als bis nach Florenz. Die „prekäre Geografie“ Italiens mag dieses Desinteresse gefördert haben, so Augias, denn in dem langen, schmalen Land sei die Kommunikation immer problematisch gewesen. Palermo, im fernen Mittelalter ein hot spot mediterraner Kunst und Wissenschaft, ist noch heute untergründig durchzogen von Todeskulten und einer archaischen Religiosität. Die passive Schicksalsgläubigkeit vieler Menschen war der omnipräsenten Kirche lange Zeit lieber als das politische Engagement moderner Staatsbürger, das der Papst nach der Einigung als für Katholiken „unangebracht“ explizit verbot. Den „Roman einer Nation“ hat Corrado Augias sicherlich nicht geschrieben. Er schuf vielmehr ein reizvolles Mosaik, das die Kulturjournalistin Sabine Heyman mit eleganter Feder ins Deutsche übersetzt und hilfreich mit kundigen Anmerkungen versehen hat.
Michaela Wunderle, Frankfurt am Main