Zum Buch:
Angesichts der Not in vielen Ländern unserer durch Globalisierung klein und kleiner gewordenen Welt kann man fragen, ob es sinnvoll ist, Überlegungen zu der Idee der Gerechtigkeit auf mehr als 500 Seiten zu Papier zu bringen. Doch kein Unbekannter macht sich hier Gedanken darüber, wie ein wenig mehr an Gerechtigkeit zu erreichen sein könnte: Amartya Sen, Wirtschaftsnobelpreisträger von 1998, Ökonom und Philosoph, hat längst die Grenzen der wissenschaftlichen Disziplinen aufgebrochen, um aktiv in den politischen Prozess der Entwicklungsarbeit einzugreifen.
Sen legt hier die Summe seiner wissenschaftlichen Arbeit vor. Zum einen setzt er sich mit der großen Schrift seines Lehrers John Rawls auseinander, der “Theorie der Gerechtigkeit”. Der Professor der Philosophie war Sens Diskussionspartner über Jahre hinweg. Rawls Gerechtigkeitsbegriff orientiert sich vorwiegend an Institutionen und weniger an Leben und Freiheitsmaß der betroffenen Menschen. Letzteres ist dagegen die Denkrichtung, die Sen verfolgt, und in die er Theorien der nicht-westlichen, vorwiegend indischen Geistesgeschichte mit einfließen lässt. Dass Verwirklichung von Gerechtigkeit durchaus auf ökonomischen Voraussetzungen fußen mag, leugnet Sen nicht. Ziel einer weit reichenden Gerechtigkeit wäre aber nach den Vorstellungen des Autors vor allem die Befähigung aller Menschen, ihr Leben in Freiheit zu gestalten.
Ein an Überlegungen, anschaulichen Fallbeispielen und Anekdoten überaus reiches Buch, das jeden Weg beschreitet, um sich Möglichkeiten eines umsetzbaren, realen, größeren Maßes an Gerechtigkeit in dieser Welt zu nähern. Ein Buch, das zudem und das halte ich für sein größtes Verdienst Aufschluss darüber gibt, worauf die Vorstellung und Umsetzung von Gerechtigkeit in unserer Welt meist begrenzt ist (nämlich auf eine gerechte Verteilung der materiellen Güter), und wohin sie darüber hinaus reichen könnte und sollte.
Susanne Rikl, München