Zum Buch:
»Jede Institution ist der verlängerte Schatten eines einzelnen Menschen.« Das hat Emerson einmal gesagt. Im Fall des FBI, des Federal Bureau of Investigation, trifft das in ganz besonderem Maße zu, denn der Schatten gehörte zu einem Mann, der die Ermittlungsbehörde des US-amerikanischen Justizministeriums ganze 48 Jahre lang leitete und damit die Innen- und Außenpolitik seiner Zeit maßgeblich prägte: John Edgar Hoover.
Das FBI wurde 1908, also lange vor der „Schwesterfirma“ CIA, gegründet und ist zuständig für Verstöße gegen Bundesgesetze und Verbrechen, bei denen Staatsgrenzen innerhalb der USA überschritten werden. Besonderer Schwerpunkt der Behörde, gerade nach 9/11, ist der Schutz vor terroristischen Aktivitäten. Durch den eklatanten Machtmissbrauch Hoovers, der im Laufe seiner langen Amtszeit für die Verletzung zahlreicher Gesetze verantwortlich war, u.a. illegale Telefonüberwachung, Entführung und Einbruchdiebstahl, sammelte er eine solche Fülle geheimer Informationen, wie sie Präsidenten nie zuvor zur Verfügung standen – falls Hoover denn gewillt war, sie dem jeweiligen Amtsinhaber auch mitzuteilen. Irgendwann soll er einmal gesagt haben, ihm sei es völlig egal, wer unter ihm Präsident sei. Hoover war klar, dass er immer der (zweit-) wichtigste Mann des Landes war.
Die Person J. Edgar Hoover hatte mich schon sehr lange interessiert, doch leider fand ich bisher nirgends eine deutschsprachige Biographie. Aber da ich wusste, eine Geschichte des FBI würde unweigerlich mit der Hoovers verbunden sein, war ich sehr erfreut darüber, daß Tim Weiner, zweifacher Pulitzer-Preisträger, Journalist und „intimster Kenner des amerikanischen Geheimdienstsystems“, der vor ein paar Jahren sein hervorragendes Buch über die CIA herausbrachte, sich mit diesem interessanten Thema beschäftigen würde. Aber in seinem neuen Buch geht es natürlich nicht ausschließlich um den Kommunistenjäger und Einzelgänger Hoover, der bis zu seinem Tod davon überzeugt war, Kommunist zu sein bedeutete auch unweigerlich homosexuell zu sein. Tim Weiner erzählt die ganze Geschichte und beruft sich in seiner umfassenden Arbeit auf Kenntnisse, die er sich durch Einsicht erst kürzlich freigegebener Dokumente aneignen konnte. Er beschreibt nichts weniger als die Biographie eines Geheimdienstes, der sich in seiner über hundertjährigen Geschichte allein durch seine illegalen Methoden sowie seiner vollkommenen Unfähigkeit ausgezeichnet hat, und man bekommt mehr als einen Eindruck davon, wie es hinter den Kulissen der US-amerikanischen Innen- und Außenpolitik bis in unsere heutige Zeit ausgesehen hat.
Tim Weiner räumt mit längst überholten Mythen auf, die nicht allein durch Film und Fernsehen entstanden sind, er erzählt das alles sehr spannend und aufschlussreich, man erhält somit gleichzeitig einen lebhaften Abriss in amerikanischer Geschichte und muss dabei oft, sehr oft sogar, einfach nur mit dem Kopf schütteln. Man hat sich vielleicht gedacht, das wird, wie bei jedem Geheimdienst, ziemlich schlimm sein, was da alles passiert ist, doch es kommt dann noch schlimmer. Viel schlimmer. Teilweise kann oder will man das kaum glauben. „FBI. Die wahre Geschichte einer legendären Organisation“ liest sich dann auch wie ein spannender Politkrimi, denn Tim Weiner versteht es, den Leser auch auf der 600sten Seite noch bei Laune zu halten. Ich kann dieses großartige Buch nur ausdrücklich empfehlen, es ist eines dieser, wie ich sie nenne „lesbaren Sachbücher“, und nichts weniger als ein Standardwerk.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln