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Starkes Ding

Autor
Nüssli, Lika

Starkes Ding

Untertitel
Die Geschichte eines Verdingkindes, basierend auf den Erinnerungen meines Vaters
Beschreibung

Bis weit in die 1960er Jahre gab es in der Schweiz das Verdingen. Kinder wurden als rechtlose ArbeiterInnen in Bauernhöfe geschickt, um dort in der harten Landwirtschaft zu helfen. Seelischer, körperlicher und oftmals auch sexueller Missbrauch waren dabei gang und gäbe. Der Vater der Künstlerin Lika Nüssli war so ein Verdingbub. Starkes Ding ist der eindringlichste und überzeugendste Comic, der in diesem Jahr bislang erschienen ist.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Edition Moderne, 2022
Seiten
232
Format
Broschur
ISBN/EAN
978-3-03731-227-8
Preis
29,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Lika Nüssli, *1973 in Flawil. Nach einer Ausbildung zur Textildesignerin in Herisau studierte sie Illustration an der Hochschule für Design und Kunst in Luzern. Seit 2003 arbeitet sie als freischaffende Künstlerin in St. Gallen. Für ihr zeichnerisches Werk wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 2016 mit dem Comicstipendium der Deutschschweizer Städte und 2020 mit dem Comic-Werkbeitrag von Pro Helvetia.

Zum Buch:

Bis weit in die 1960er Jahre gab es in der Schweiz das Verdingen. Kinder wurden als rechtlose ArbeiterInnen in Bauernhöfe geschickt, um dort in der harten Landwirtschaft zu helfen. Seelischer, körperlicher und oftmals auch sexueller Missbrauch waren dabei gang und gäbe.

Der Vater der Künstlerin Lika Nüssli war so ein Verdingbub. Ohne skandalisierenden Ton, aber umso eindringlicher erzählt sie von den Kinderjahren ihres Vaters in der Graphic Novel Starkes Ding. Entstanden ist ein in jeder Hinsicht herausragendes Werk. Nüsslis Vater führt bis heute Buch über zwei Dinge: das Wetter und das Jassen. Dieses Schweizer Kartenspiel gehörte zu den sehr wenigen Vergnügungen, die dem Vater auch als Kind vergönnt waren – penibel werden die Ergebnisse festgehalten. Das Wetter steht für die Abhängigkeit von der Natur in ihren verschiedenen Formen: als Landschaft, als Natur des Menschen und als seinem Kampf um‘s bäuerliche Auskommen, aber auch für die Demut den Naturgewalten gegenüber.

Bevor der junge Ernst die eigene Familie als 12jähriger verlässt, erlebt er eine Kindheit, die man glücklich nennen möchte. Der zweite Weltkrieg wütet in Europa, Nahrung ist knapp. Ein Esser weniger, so die Rechnung seines Vaters, dazu ein karges Zubrot für die Familie – schnell ist es entschieden. Der neue Herr ist streng, immer wieder gibt es Schläge, der geliebte Schulunterricht muss wegen der Ernte oft ausfallen. Am schlimmsten aber ist die Trennung von der eigenen Familie, ein Trauma. Ernst schuftet, vier Jahre hält er durch, dann verlangt er vom eigenen Vater, eine neue Arbeit übernehmen zu dürfen. Er wirkt ungebrochen – aber klar ist es nicht, es wird nicht darüber gesprochen.

Lika Nüssli erfährt vom Schicksal des Vaters erst sehr spät, als der schon im Altersheim ist. Die bekannte Künstlerin (gerade war ihr eine Retrospektive in Basel gewidmet) schreibt alles auf und zeichnet mit unverkennbarem Stil zwischen Realismus und freier Expression, immer genau, immer human. Inspiriert hat sie in dieser Geschichte auch das Genre der Sennmalerei, die traditionell den bäuerlichen Alltag als Sujet hat.

Die Zeichnungen nehmen sich den Platz, den sie brauchen. Und das Buch gibt ihnen den Platz. Der Schweizer Verlag Edition Moderne ist inzwischen dafür bekannt, den Geschichten und Bildern bis ins kleinste Detail die Form zu verleihen, die ihnen am konsequentesten dient. Das reicht von der Typografie bis zu Material und Farbe des Umschlags. Starkes Ding ist der eindringlichste und überzeugendste Comic, der in diesem Jahr bislang erschienen ist.

Jakob Hoffmann, Frankfurt