Zum Buch:
Als 2014 die amerikanisch-iranische Filmemacherin Ana Lily Amirpour ihren Debüt-Kinofilm A Girl Walks Home Alone at Night veröffentlichte, erreichte dieser schnell internationalen Kultstatus. Die Mischung aus spezifisch persischer – und damit eben nicht portugiesischer, griechischer oder türkischer – Melancholie, gepaart mit einer kargen Spaghettiwestern-Optik und kaleidoskopischer Heroin-Ästhetik berührte offenbar einen Nerv.
Der Roman Märtyrer! von Kaveh Akbar nimmt in gewisser Weise den Faden an der Stelle wieder auf, an der Amirpours Film endete, nämlich mit dem Exodus aus der doppelten Sackgasse der Provinz und des Rauschs. Der Roman basiert auf der wahren Geschichte aus dem Jahr 1988, als das US-Kriegsschiff Vincennes den Linienflug 655 der Iran-Air-Fluggesellschaft über dem Persischen Golf abschießt, mit dem die Mutter von Protagonist Cyrus („Koroosh“) Shams der konservativen Enge des Irans entkommen wollte. Nun ist es Cyrus’ Vater Ali, der mit seinem kleinen Sohn in die USA auswandert und sich auf die Suche nach einem neuen Leben macht.
Weder Cyrus noch Ali haben die Gelegenheit, die Tragödie angemessen zu verarbeiten. Ali zieht sich emotional in seine neue Niedriglohnarbeit zurück. Cyrus studiert mäßig erfolgreich, fühlt sich als trauriger Poet und verfällt immer mehr seinem starken Alkoholkonsum, bevor er sich entschließt, sowohl seine Arbeit als Schriftsteller als auch sein Leben insgesamt mit einem neuen Buchprojekt über Märtyrertum komplett umzukrempeln.
Die Suche nach dem ultimativen Märtyrer-Begriff wird zu einem existentialistischen Roadtrip voller tragikomischer Wendungen zwischen New York, Teheran, dem mittleren Westen und Chuzestan, der es in sich hat: mythische Erscheinungen auf den Schlachtfeldern des Golfkriegs, Performancekunst und Michelangelo, Lisa Simpson und Hypatia von Alexandria – dieser Roman hat alles. Zwischen historischen Schnipseln und ausgewählten Lyrikzitaten lässt Akbar meisterlich die Grenze von Realität und Fiktion verschwimmen. In der englischsprachigen Literaturwelt völlig zurecht als einer der besten Romane 2024 gefeiert.
Für Leser:innen von Behzad Karim Khani, Ottessa Moshfegh, Emine Sevgi Özdamar und Mark Z. Danielewski – aber auch eine große Empfehlung für Fans von Trainspotting, Spun und Omar Gatlatou.
Florian Geissler, Karl-Marx-Buchhandlung, Frankfurt a.M.