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Halbe Leben

Autor
Gregor, Susanne

Halbe Leben

Untertitel
Roman
Beschreibung

Als Klaras Mutter Irene einen Schlaganfall bekommt und Pflege benötigt, gerät das gut austarierte Familiengefüge aus den Fugen. Bisher hat Irene sich um den Haushalt und die Enkelin Ada gekümmert, Klara hat sich in ihren hochdotierten, aber auch fordernden Job gestürzt und Jakob, ihr Mann, frönt seinem Hobby als Fotograf. Wenn das Leben halbwegs wieder wie vorher werden soll, wird Hilfe gebraucht, und die kommt mit Paulina, die sich fortan um Irene kümmert. Paulinas Kinder werden von ihrer Schwiegermutter in der Slowakei betreut. Alle scheinen zufrieden, und Paulina wird fast zum Familienmitglied. Aber nach und nach entstehen Risse in dieser Konstruktion, und die scheinbare Perfektion enthüllt ihre dunklen Seiten.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Zsolnay Verlag, 2025
Seiten
192
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-552-07523-8
Preis
23,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Susanne Gregor, geboren 1981 in Žilina (Tschechoslowakei), zog 1990 mit ihrer Familie nach Österreich und lebt heute in Wien. Für ihre literarischen Arbeiten wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet. Zuletzt erschienen die Romane »Das letzte rote Jahr« (2019), »Wir werden fliegen« (2023) und bei Zsolnay »Halbe Leben« (2025).

Zum Buch:

Als Klaras Mutter Irene einen Schlaganfall bekommt und Pflege benötigt, gerät das gut austarierte Familiengefüge aus den Fugen. Bisher hat Irene sich um den Haushalt und die Enkelin Ada gekümmert, Klara hat sich in ihren hochdotierten, aber auch fordernden Job gestürzt und Jakob, ihr Mann, frönt seinem Hobby als Fotograf. Wenn das Leben halbwegs wieder wie vorher werden soll, wird Hilfe gebraucht und die kommt mit Paulina, einer Krankenschwester aus der Slowakei, die sich fortan um Irene kümmert.

Alles scheint problemlos. Irene, die sich energisch gegen eine Pflege gewehrt hat, akzeptiert Paulina. Paulina passt sich in den Tagesablauf der Familie ein und übernimmt zunehmend auch einen Teil der Versorgung der anderen Mitglieder. Man ist freundlich zueinander und lobt Paulinas Arbeit.

Einfühlsam und scharfsichtig erzählt Susanne Gregor von den unüberbrückbaren Gegensätzen zwischen Menschen, für die der westliche Wohlstand selbstverständlich ist, und anderen, die ihre ganze Kraft geben, einen Teil davon zu erreichen. Beide Frauen, Klara wie Paulina, zahlen dafür einen Preis: Klara, die eigentlich nur in ihrer Arbeit glücklich ist, will ihrer Rolle als perfekte Ehefrau, Mutter und Alleinverdienerin gerecht werden. Ihr stets alle Probleme weglächelnder Ehemann Jakob ist dabei keine Hilfe. Klara entlohnt Paulina großzügig für jede Extraleistung, die diese erbringt, hält es aber zunehmend für selbstverständlich, sie auch für Tätigkeiten einzuspannen, die nicht zu ihrer eigentlichen Arbeit gehören. Der Preis, den Paulina zahlt, ist ungleich höher: Sie verdient in der Slowakei zu wenig, um ihren Söhnen ein besseres Leben zu ermöglichen. Die besser bezahlte Arbeit als Pflegerin erkauft sie mit zunehmend längeren Abwesenheiten von ihrer Familie und erntet dafür Vorwürfe von allen: den Kindern, der Schwiegermutter und von ihrem geschiedenen Mann, der keinen Unterhalt zahlt, aber meint, ihr sei das Geld wichtiger als ihre Kinder. Auch weil sie ihren Traum vom besseren Leben nicht aufgeben kann, gerät Paulina mehr und mehr in die Zwangslage, die zunehmenden Wünsche ihrer Arbeitsgeber nicht ablehnen zu können und gleichzeitig zu sehen, dass ihr eigenes Leben dabei zerbricht. So wächst unter der freundlichen Oberfläche Paulinas Hass auf die satte Selbstverständlichkeit der Familie, während Klara versucht, ihre latente Unsicherheit Paulina gegenüber mit immer „großzügigeren“ Gesten zu überspielen.

Von Beginn an wissen wir: Diese Geschichte geht nicht gut aus. Trotzdem liest man das Buch mit wachsendem Interesse und zunehmender Spannung. Halbe Leben ist eine genau beobachtete, sensible Studie über ungleiche Herkunft und nicht zu überbrückende Fremdheit. Die damit einher gehenden Handlungsmöglichkeiten und Verhaltensweisen pervertieren selbst die besten Absichten, weil ein wirkliches Verständnis mehr voraussetzt als nur Geld.

Ruth Roebke, Frankfurt a.M.