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Ich möchte lieber nichts

Autor
Düffel, John von

Ich möchte lieber nichts

Untertitel
Eine Geschichte vom Konsumverzicht
Beschreibung

Nach vielen Jahren trifft der Erzähler in Ich möchte lieber nichts seine ehemalige Kommilitonin Fiona in Edinburgh wieder, die er damals wegen ihrer Radikalität bewunderte und vielleicht auch deshalb nie vergessen hat. Mit diesem streitbaren Austausch zweier sehr unterschiedlicher Menschen über Vergangenheit und Zukunft, Individualismus und strukturelle Missstände, lädt John von Düffel ein, unsere gesellschaftlich verabredeten Normen, unsere in jeder Hinsicht auf Konsum ausgerichteten Lebenswelten zu hinterfragen und eigene Blindheiten aufzuspüren. Dass er zu diesem Zweck kleine, aber interessante und verdauliche Häppchen anreicht, können wir kritisieren oder dankend annehmen.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
DuMont Buchverlag, 2024
Seiten
208
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-7558-0010-1
Preis
24,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

John von Düffel wurde 1966 in Göttingen geboren, er arbeitete als Dramaturg u. a. am Thalia Theater Hamburg sowie am Deutschen Theater Berlin und ist Professor für Szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste. Seit 1998 veröffentlicht er Romane, Erzählungsbände sowie essayistische Texte bei DuMont, u. a. ›Vom Wasser‹ (1998), ›Houwelandt‹ (2004), ›Wassererzählungen‹ (2014), ›Klassenbuch‹ (2017), ›Der brennende See‹ (2020), ›Wasser und andere Welten‹ (Neuausgabe 2021), ›Die Wütenden und die Schuldigen‹ (2021) und zuletzt ›Das Wenige und das Wesentliche‹ (2022). Seine Werke wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem aspekte-Literaturpreis und dem Nicolas-Born-Preis.

Zum Buch:

Erzählende Philosophie, so nannte John von Düffel schon sein vorangegangenes Buch Das Wenige und das Wesentliche, und diese Genrezuweisung passt auch zu seiner aktuellen, bei Dumont erschienenen Veröffentlichung Ich möchte lieber nichts. Eine Geschichte vom Konsumverzicht.

Nach 35 Jahren trifft der Erzähler seine ehemalige Kommilitonin Fiona wieder, die er damals wegen ihrer Radikalität bewunderte und vielleicht auch deswegen nie vergessen hat. Auf die Frage, was sie später gerne machen wollte, lautete ihre Antwort: „I want to sit on a stone and think“.

Ob Fiona diesem Lebensvorhaben nachgegangen oder in der einen oder anderen Weise weltlicher geworden ist, das versucht der Erzähler auf seinen Spaziergängen durch Edinburgh aus der eher schweigsamen Fiona herauszulocken. Mit vielen Fragen, auch Fragen an sich selbst und den eigenen Lebensweg, war er angereist. Durch die Erinnerungen an die gemeinsame Studienzeit geraten viele Annahmen und Erinnerungen, auch an die eigene Rolle damals, ins Wanken.

Dass Fiona keine selbst gewählte Asketin war, sondern durch ihre prekäre Herkunft an gemeinsamen Mahlzeiten gar nicht hätte teilnehmen können, und auch die zugrundeliegende Ignoranz in seinem bewundernden Blick auf die radikale Konsumabkehr seiner Kommilitonin, wird dem Erzähler erst jetzt in vollem Ausmaß klar. Seine Konsumkritik entlarvt Fiona schon nach Kurzem als das, was es eben auch ist: ein Wohlstandsphänomen, das man sich leisten können muss. Individualismus und die Freiheit der Wahl eines „richtigen Lebens“ für jeden Einzelnen, auf der der Erzähler zu beharren versucht, hält Fiona für inexistent; sie lenkt seinen Blick auf die weitreichenden strukturellen Unterschiede bei Herkunft und Klasse.

Der Autor unterteilt das Buch in die Tage in Edinburgh auf den Spuren der Vergangenheit, einem nachfolgenden knappen Briefwechsel zwischen den beiden, die die frisch aufgeworfenen Fragen aufgreifen und weiterspinnen, und in einen dritten Teil, in dem statt Fiona selbst Fionas Tochter den Erzähler in Berlin besucht. Diese Art des Erzählens in Gesprächen und Briefen erleichtert einerseits den Zugang zu den Gedanken der Protagonisten, andererseits geraten manche Themen etwas knapp.

„Was ist uns wichtiger, Freiheit oder Sicherheit?“, „Was sehe ich und wofür bin ich blind?“, „Wie groß muss die Nichtübereinstimmung sein, damit Du wirklich etwas veränderst?“ Diese und viele andere Fragen machen das hier empfohlene Buch zu einer sehr anregenden Jahresanfangslektüre, sympathisch auch deswegen, weil genug Selbstkritik in den Überlegungen des Autors steckt, um nicht zur belehrenden Lebenshilfe zu verkommen. John von Düffel lädt mit seinem Buch dazu ein, unsere gesellschaftlich verabredeten Normen, unsere in jeder Hinsicht auf Konsum ausgerichteten Lebenswelten zu hinterfragen und eigene Blindheiten aufzuspüren. Dass er uns zu diesem Zweck kleine, aber interessante und verdaulichen Häppchen anreicht, können wir kritisieren oder dankend annehmen.

Larissa Siebicke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt