Das weitgehend unbeachtete Prosa-Projekt „Der Zeichendeuter“ (1917-1926) bietet Anlass, sowohl prominente als auch weniger bekannte Texte Hofmannsthals aus den sog. „Erfundenen Gesprächen und Briefen“ neu zu beurteilen. Solche epischen Werke, die in der neueren Forschung immer mehr Beachtung finden und ähnlich wie der Chandos-Brief (1902) auf fiktionaler Basis theoriefähige Modelle (sprachkritischer, ästhetischer oder kulturtheoretischer Natur) erproben, gilt es, erstmalig auf fundierte Weise intertextuell zu lesen. Die spezifischen Kompetenzen der jeweiligen Protagonisten weisen sie als antizipierte Zeichendeuter-Figuren aus, die emphatisch für einen neuartigen Künstlertypus einstehen. Hofmannsthals abtrünnige Dichter, schwadronierende Symboltheoretiker, Hetären, Kaufleute und Bücher-Liebhaber reflektieren bereits über Symbole, Farben, den Tanz und mythische Erzählformen – all das, worüber Hofmannsthal vor seinem Tod im Jahr 1929 seinen „Zeichendeuter“ Auskunft geben lassen wollte.