Die politische Debatte wird beherrscht von Mythen: So sind Staatsdefizite Versündigung an den Kindern. Der Demographiemythos lautet: Es gibt zu wenige Kinder und junge Leute, aber zu viele Alte. Nicht zuletzt der Leistungsträgermythos: Höhere Steuern entmutigen und zermürben die Leistungsträger. Ihnen muss – wie in vorzeitlichen Religionen dem Regengott – geopfert werden. Diese 'neuen politischen Mythen wachsen nicht frei auf' – so bereits Ernst Cassirer im 'Mythus des Staates' –; 'sie sind keine wilden Früchte einer üppigen Einbildungskraft. Sie sind künstliche Dinge, von sehr geschickten und schlauen Handwerkern erzeugt.' Der Zweck dieser Mythen ist, Ruhe und Ordnung zu sichern, nicht durch materielle Zugeständnisse und möglichst nicht durch Polizeigewalt, sondern durch Mythos und Magie – auch wenn diese eher Kennzeichen vergangener Kulturen sind. Die absurde soziale Lage in den entwickelten Industrieländern soll nicht erkannt werden: Die Produktivität der Arbeit ist wegen der überaus entwickelten Produktionstechnik sehr hoch und nimmt weiter zu. Bei vernünftiger Organisation von Gesellschaft und Wirtschaft könnte dies die Grundlage für einen höheren Lebensstandard, für mehr privaten Konsum, für bessere öffentliche Dienste und für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich sein. Genutzt aber werden diese Möglichkeiten nicht. Eigentlich müsste diese Absurdität Unruhe auslösen. Das Gegenteil ist der Fall. Was steht dem entgegen?