Kann man "Wirklichkeit" wollen? Finden wir nicht stets eine bestimmte Wirklichkeit vor, eine "objektive" Realität, die wir anzuerkennen und anzunehmen haben? Ist die Welt mit ihren Gesetzmäßigkeiten für den Menschen wie für alle anderen Lebewesen und Dinge, die Teil dieser Welt sind, nicht einfach nur vorhanden in dem Sinne, daß sie uns "zur Hand" ist, daß wir mit ihr "umgehen" können, nicht aber, daß wir sie wollen oder nicht wollen oder anders wollen können? Dieses Buch ist dem Sprachwissenschaftler und Sprachkritiker Uwe Pörksen gewidmet. Bereits seit den siebziger Jahren, beginnend mit seinen Arbeiten zur Geschichte der Sprachkritik, verstärkt dann in den achtziger und neunziger Jahren im Zusammenhang mit gegenwärtiger Sprach- und Bildkritik, mit der Beschreibung von "Plastikwörtern" und "Visiotypen", hat Uwe Pörksen die Frage beschäftigt, in welcher Weise durch Sprache und durch "Bilder", also durch Zeichen, Wirklichkeit "konstruiert" und festgelegt wird. Der Sammelband ist ein Versuch, die Gedanken Uwe Pörksens zum Ausgangspunkt für weitere Überlegungen in unterschiedlichen Bereichen zu nehmen. Bernhard Pörksen zeigt, wie leicht vermeintlich objektive Wissenschaft in Scharlatanerie, Wirklichkeit in Fiktion verwandelt werden kann. Dieser Destruktion folgt die (subversive) Konstruktion, der Aufbau des Gedankens, daß in einer jeden Wirklichkeit Möglichkeiten stecken, die sich aus ihr "mit Skepsis und Humor" herauslesen lassen und, haben sie die Wirklichkeit erst einmal fraglich gemacht und die statischen Denkformen aufgelöst, einen kreativen Neubeginn bedeuten können. Dietz Bering geht der Frage nach, wie sich theoretische Sprachskepsis und praktische Sprachkraft, Sprachvertrauen, für und bei Friedrich Nietzsche verbinden lassen: Skepsis betrifft jene Worte und Begriffe, die feste Grenzen und Einheitlichkeit dort suggerieren, wo eigentlich fließende Übergänge und Vielfalt zu finden sind; Vertrauen dagegen gründet sich auf Außer- und Paralinguistisches, auf die Musik, die Gebärde, den Ton, den Rhythmus. Nur in ihnen, den die Sprache begleitenden Merkmalen, kann eine im Fluß befindliche Wirklichkeit gespiegelt werden. Peter Nicolaisen konfrontiert die verwissenschaftlichte Lehrerausbildung als gegenwärtig herrschende Denkform mit einem lebensweltlichen Konzept, das ganzheitlich und damit antireduktionistisch angelegt ist. Ludger Lütkehaus polemisiert gegen die Reklame, die Kommerz und Konsum zum Lebens- und Wirklichkeitsprinzip erhebt und durch Suggestion und Manipulation Werte wie Aufklärung und Mündigkeit negiert, ja abschafft. Christian Hiß stellt der vermeintlich modernen und fortschrittlichen industrialisierten Landwirtschaft die von ihm bereits realisierte Möglichkeit einer "künstlerischen" Landwirtschaft gegenüber, die Natur und Kultur nicht als Gegensätze, sondern als Freiraum begreift, in dem der Landwirt und Gärtner gestaltend arbeiten kann. Beate Zimmermann skizziert am Beispiel der Krebsforschung die Auswirkungen der Genforschung auf die Vorstellung von Wirklichkeit. Sie zeigt, wie die Wissenschaft aus einstmals gesunden Frauen potentiell kranke Frauen macht, und sie stellt eindringlich dar, daß außerhalb oder neben der Wissenschaft auch andere Wirklichkeiten denkbar sind. Wulf Kirsten setzt gegen eine verselbständigte Sprache des Alltags, gegen die in ihr unreflektiert benutzten Schablonen, die Sprache der Poesie, die Gegensprache im Gedicht. Er vertraut der Kultur und fordert sie in ihrem ursprünglichen Sinn, auch wenn sie von einer kaum erhörten Elite ausgesprochen wird. Jürgen Schiewe stellt die Sprache in den Mittelpunkt der Betrachtung - die Sprache, wie sie von zwei unvereinbar scheinenden Positionen, der sprachwissenschaftlichen und der sprachkritischen, aufgefaßt wird. Hier kommt der Sprachkritiker Uwe Pörksen selbst zu Wort, indem versucht wird, seiner Antwort auf die Titelfrage dieses Bandes nachzuspüren und als einen möglichen Leitgedanken für die Auffassung und den Gebrauch von Sprache anzubieten. Weitere Informationen finden Sie im Internet unter www.editionargus.de