nachrichten aus einem land im dauernden ausnahmezustand die gedichte von kalosh çeliku es ist dies ein buch, das zeitdokument und intensives dichterisches zeugnis eines in der kompromisslosigkeit seiner themen- und wortwahl herausragenden, der albanischen minderheit in der republik mazedonien angehörenden dichters des ehemaligen jugoslawiens zugleich ist. wie nachrichten aus einem land im dauernden ausnahmezustand lesen sich die gedichte von kalosh çeliku, kurze andeutungen über eruptionen, persönliche, gesellschaftliche, die vergangenheiten aufscheinen lassen, aber immer dem augenblick verpflichtet sind und jede entwicklung in die zukunft offen lassen. nachrichten, die mitten ins bewusstsein, ja, auch die gefühlswelt des lesers zielen. die gedichte von kalosh çeliku, das empfindet jeder, der sie liest, gehen den leser ganz direkt an. und das im wörtlichen sinn: sie betreffen ihn nicht nur, sondern sie treffen ihn mit wucht. sie sind zumeist kurz, prägnant, sie sind direkt aus dem leben gegriffen (so scheint es zunächst), und sie nennen die dinge beim namen: „ich hab mein selbst nicht verkauft“ ist der titel eines gedichts, und schon damit scheint die wut desjenigen auf, der seinen weg verfolgt, der niemals sein „selbst … in der regierung verkauft/ weder für einen posten/ noch für eine freundin“. und er charakterisiert mit diesen wenigen worten das denken, das handeln einer ganzen generation seiner heimat mazedonien, dem südlichsten zipfel, und wahrscheinlich des gesamten, ehemaligen jugo-slawiens, das als beispiel stehen mag für politische, gesellschaftliche wenden in jüngerer zeit in den östlichen, ex-sozialistischen staaten, oder überhaupt; hinzu kommt die muslimische tradition der minderheit der albaner, für die kalosh çeliku in mazedonien auch steht; und dies macht seine gedichte sogar zeit- und ortlos. kalosh çeliku ist deutlich, in seinen gedichten, „ich stamme aus der sippe der rebellen“, und manches mal findet er nur noch spott: „was beherrscht denn ihr politiker?!/ leider nichts. auch eure frauen nicht…“, sagt er über diejenigen, die er verachtet, und, übertragen, mag dies auch für politiker, für mächtige (auch „kleine“ mächtige, die möchtegern-mächtigen des alltags) unseres viel gerühmten westlichen weltkreises gelten. begriffe ziehen sich als symbole durch seine gedichte: die platane, als ort der ruhe, des rückzugs; die krüge voller wein, auch sie „orte“ der fluchten, die freundin – als alternativer entwurf, als die frau der nächte unter der einsam stehenden platane, als die geliebte der sehnsucht, als die frau für fluchten; aus dem täglichen, das uns, ihn, den dichter, niederdrückt und für die er wunderbare gedichte schreibt, wie dieses: „die see kann mich nicht ertränken,/ weder die see noch der wein,/ die nacht mit der dunkelheit// du hast mich ertränkt/ mit diesen reinen augen …“. es sind reminiszenzen, die von fern an bessere zeiten erinnern, die hineintauchen lassen in eine gegenwart, die das leben bis, ja, ins heute rechtfertigen können. alles hängt zusammen in diesen gedichten; dichtung und leben sind bei diesem dichter eine einheit. sein schmerz, seine ironie, sein aufschreien gegen die täglichen wiederholungen der hundert-, tausendmal erlebten „herzlosen geister“; sein spott: mit den krügen wein kann er ihn bekämpfen, manches mal für eine nacht lang ertränken, mit der ganzen sinnlichkeit der „freundin“ kann er den dauernden gefühlsaufstand nieder ringen, kann zumindest soweit ruhe finden, dass ein kanalisieren hinein in die poesie gerade noch möglich ist; dass die vielen krüge wein zu guter letzt worte finden lassen, die in aller eindringlichkeit die dinge beim namen nennen und so – zeit-dokument und zugleich dichterisches zeugnis einer befindlichkeit, eines beweises dessen sind, dass ein authentisches, ein unkor-rumpiertes leben doch möglich war – und ist. die gedichte kalosh çelikus sind sinnlich. sie sind weltfremd und weltnah zugleich, ja, sie bewegen sich direkt in der welt und aus ihr heraus, ihre bilder wiederholen sich immer wieder – die krüge wein, die unter der platane getrunken werden – und sind doch nur ausdruck des dichters, worte zu finden für das eigentlich unsagbare: zurecht zu kommen mit der eigenen wut, mit den eigenen sehnsüchten in einem land, das sinnlichkeit und zugleich unmöglichkeit eines freien, im privaten wie öffentlichen selbstbestimmten verhaltens illustriert. beispiel „wein“: erlaubt fluchten aus dem alltäglichen, das ansonsten in den wahnsinn treibt; erlaubt sinnliche, bunte erfahrung, die das triste alltagsleben in ekstasen hebt; erlaubt betäubung, fluchten in worte, die schließlich alle anderen erfahrungen beschreiben. und das ist das glück: dass wir hier einen dichter (und dann einen diesem ebenbürtigen übersetzer, seinen sohn) vor uns haben, welchem worte zur verfügung stehen, dies alles zu beschreiben; der bilder, vergleiche aus eines jeden leben finden kann, die nachvollziehbar machen, die uns verdeutlichen, unter welchen umständen leben und liebe, sinnhaftigkeit und verzweifeln an den täglichen umständen – ganz nah beieinander liegen in diesem land der extreme nach zwangssozialismus und zusammenbrechen, und dies während des suchens nach neuen identitäten, ja, auch der albanischen minderheit im mazedonischen mehrheitsmutterland. der dies alles zu umschreiben möglich macht. es gibt eine stimme, die uns alles dieses erlebbar macht, die heißt kalosh çeliku. danke: für die eindringliche deutlichkeit, mit der kalosh çeliku uns ein sinnenfrohes zeitdokument und zugleich ein dichterisches erlebnis aus einem land der gegensätze, der findung von identitäten, zulässt. im september 2012 uli rothfuss