Es gibt sie: Überraschende Einblicke in längst vergessen geglaubte Lebensgeschichten und Lebenswelten. Von einer solchen will ich berichten. Sie ist verästelt und verwoben mit anderen Menschen, Ereignissen, Episoden, Schicksalen, persönlichen und politischen, von Familie diktiert, selbst gestaltet oder fremd verschuldet – die Summe aus all dem bedeutet dieses eine Leben. Im Frühjahr 2023 sprach meine Mutter seit Langem wieder einmal über das Schicksal ihrer Oma Liesel, die sie selbst nie kennengelernt, jedoch auch nie vergessen hatte. Alles was sie von ihr wusste, kannte sie aus Erzählungen ihrer Mutter, und das beschäftigt sie bis heute: Verhaftung Anfang der 30-er Jahre, Inhaftierung im KZ Dachau, Ermordung, Beerdigung auf einem Düsseldorfer Friedhof im allerengsten Kreise – nicht mehr und nicht weniger. Ein unbekannter Teil unserer Familiengeschichte, ein blinder Fleck.
